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Debütantinnen - Roman

Titel: Debütantinnen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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mit der Kinder ihre Eltern lieben. Eine Art bereitwillige einstweilige Einstellung des Zweifels, ob es ihm, obwohl er jahrelang immer wieder das Gegenteil bewiesen hatte, irgendwann, in der allerletzten Stunde, gelingen würde, sein Wort zu halten. Als er starb, hatte sie das Gefühl, sie hätte ihr ganzes Leben auf einem Bahnsteig verbracht, voller Vorfreude immer wieder auf die Uhr geschaut und auf seine Ankunft gewartet. Nur dass er umgeleitet worden war und in eine ganz andere Richtung fuhr. Und niemand hatte ihr Bescheid gesagt.
    Wenn sie nur interessanter gewesen wäre, hübscher, klüger …
    Jetzt schien es ihr, als hätte sie seine moralische Flexibilität geerbt, seine finstere, launische Rastlosigkeit − die stetig wachsende Diskrepanz zwischen Worten und Taten. Inzwischen stellte sie fest, dass auch sie Versprechungen machte, die sie nicht halten konnte, sogar sich selbst gegenüber.
    Der Riegel schnappte auf.
    Die verschlossene Tür öffnete sich.
    Cate blinzelte, geblendet von der Helligkeit.
    Sie stand in einem großen, quadratischen Raum mit hoher Decke und einer ganzen Wand voller Terrassentüren, die auf einen Balkon führten, von dem aus man den Rosengarten überblickte. Überall im Raum schimmerten die zierlichsten vergoldeten Stuckarbeiten und Gesimse, strahlend goldene Girlanden vor cremeweißen Wänden. Die Wirkung war phantastisch.
    Aus der kühlen Düsternis des Flurs trat Cate in den Raum. Es war stickig darin, roch muffig. Sie öffnete die Terrassentüren, deren Scharniere quietschten, weil sie lange nicht bewegt worden waren. Wind wehte herein, und das Vakuum aus Hitze und stickiger Luft füllte sich wie mit einem Seufzer. Es war, als hätte der Raum die Luft angehalten.
    Über einem marmornen Kamin befand sich ein kunstvoller Kaminaufsatz. Der verblichene Aubusson-Teppich hatte ein Muster aus blassen Kränzen mit Blumen und Kirschen. Girlanden, welche die Deckenrosette umschlangen, erfüllten den Raum mit einem weichen, polierten Glühen. Es war bei weitem der hübscheste Raum im Haus − wunderbar proportioniert, prunkvoll ausgestattet, wie ein Ballsaal en miniature.
    Doch warum war er verschlossen?
    An einer Wand standen ein Bett und ein Nachttisch, alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Cate öffnete eine Schublade, und Staub wirbelte hoch. Sie musste husten. Die Schublade war leer.
    An der gegenüberliegenden Wand standen Bücherregale. Cate musterte die verblassten Buchrücken. Der Wind in den Weiden , Die Wasserkinder , Kinder des Waldes sowie Grimms Märchen und Werke von Hans Christian Andersen und eine umfangreiche Sammlung von Lewis Carroll. Sie holte Der Wind in den Weiden heraus und schlug es auf. Der Buchrücken knarrte, doch abgesehen von den Schäden durch Staub und Alter war das Buch in tadellosem Zustand.
    Cate kniete sich hin, und da fiel ihr etwas ins Auge. Es gab eine Sammlung von Beatrix-Potter-Büchern, sie waren klein und nahmen nur die halbe Tiefe des Regals ein. Dahinter klemmte ein alter Schuhkarton, der die Lücke ausfüllte, damit die Reihen vorn alle gleichmäßig abschlossen. Behutsam holte Cate den Schuhkarton hervor. Er war mit schwacher brauner Tinte bedruckt, damit er aussah, als wäre er aus Krokodilleder, und mit einem lachsrosa Band zusammen gebunden. Er war schwer.
    Seitlich auf dem Karton war ein Etikett: »F. Pinet, Damenschuhe«, in Bleistift darunter, in altmodischer Handschrift geschrieben, stand die Schuhgröße: 37.
    Cate knotete das ausgefranste Seidenband auf und nahm den Deckel ab. Eingewickelt in mehrere Schichten zerknittertem Zeitungspapier fand sie darin ein Paar zierliche silberne Tanzschuhe. Sie waren aus vielen Reihen zartem Geflecht gefertig und hatten strassbesetzte Schnallen. Die Handarbeit war bemerkenswert, komplizierte Muster aus Silberdraht funkelten über Ferse und Zehen. Dem Stil und der runden Spitze nach zu urteilen, stammten die Schuhe wohl von Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre. Und sie sahen aus, als wären sie teuer gewesen. Hatten sie Lady Avondale gehört?
    Cate drehte sie um. Sie waren nur wenige Male getragen worden, die Ledersohle war kaum abgenutzt. Sie fuhr mit dem Finger über das weiche Material. Wie klein sie waren! Jemand − vermutlich die alte Dame − hatte die Schuhschachtel benutzt, um die Buchreihe auszugleichen. Aber warum? Warum machte man sich in einem Raum, der verschlossen war und in dem sich praktisch keine Möbel befanden, mit so einer Kleinigkeit so viel Mühe?
    Als sie den

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