Debütantinnen - Roman
nicht genutzt werden.«
»Es ist ein Geheimnis«, beharrte Cate.
Er schüttelte lachend den Kopf. »An einer verschlossenen Tür ist wohl kaum etwas Geheimnisvolles!«
Es lag ihr auf der Zunge, ihm von dem Schuhkarton zu erzählen. Sie ging sogar so weit, den Mund zu öffnen. Doch dann schloss sie ihn rasch wieder. Das war privat. Ihre heimliche Entdeckung.
»Vielleicht haben Sie recht«, stimmte sie ihm zu und ließ es dabei bewenden. »Vielleicht war es wirklich nur ein Leck im Dach.«
*
Cate eilte zurück in ihr Zimmer, Adrenalin strömte durch ihre Adern. Das Zimmer war seit über einer Generation verschlossen gewesen − nicht einmal Jo hatte davon gewusst.
Etwas geschah, und sie war fest davon überzeugt, dass es mit dem Schuhkarton zu tun hatte.
Warum sollte der Raum sonst abgeschlossen sein?, dachte sie und drehte an ihrer Badewanne die Wasserhähne auf. Vielleicht hatte Irene vorgehabt, eine Familie zu gründen, um dieses Haus mit Leben zu füllen, aber dann war ihr Mann eingezogen worden. Und als er nach dem Krieg zurückgekehrt war, wer weiß? Vielleicht war er verletzt oder ertrug Berührungen nicht mehr.
Vielleicht hatte sie sich auch in einen anderen verliebt.
Es war ein Geheimnis, ein Rätsel, das gelöst werden wollte.
Sie öffnete das Badezimmerfenster und ließ den Blick über die ausgedehnte grüne Rasenfläche und die grenzenlose Landschaft schweifen.
Was für ein Leben hatte Irene sich als junge Frau erträumt? Hier in diesem Haus mit Blick über das Meer musste sie doch das Gefühl gehabt haben, nichts konnte schiefgehen. Sie hatte alles, was sie sich je wünschen könnte, ein schönes Zuhause, einen adligen Gatten … Jetzt war es nur noch ein altes Gemäuer mit einem verschlossenen Zimmer, Büchern, die nie gelesen worden waren, und einem Schuhkarton mit seltsamen Andenken und Erinnerungen − fast wie eine Flaschenpost.
Sie glitt mit der Hand durch das warme Badewasser.
Hatte sie eine Affäre gehabt? Wer war der gut aussehende Seemann auf dem Foto? Hatte er ihr das Armband geschenkt?
Sie schlüpfte aus ihrem Morgenmantel und ihrem Nachthemd und trat vor den beschlagenen Badezimmerspiegel, um sich die Haare hochzustecken.
Es war ein Geheimnis, mochte Jack denken, was er wollte. Er war viel zu selbstsicher, das war sein Problem. Selbstzufrieden und überheblich und, ja, prüde. Was scherte es sie schon, wenn er sie abqualifizierte? Jetzt war sie diejenige, die die Oberhand hatte, und er wusste es nicht einmal.
Es erregte sie, ein Geheimnis zu haben.
Es spielte keine Rolle, was er von ihr hielt. Noch einen Tag, und sie waren wieder in London, und sie würde nie wieder mit ihm reden müssen.
Gott, selbst am frühen Morgen war es schon unglaublich heiß!
Sie schob das Fenster noch weiter auf und reckte die Arme hoch.
*
Jack stand mit einem Becher Kaffee auf dem Rasen. Wie war sie bloß in dieses Zimmer gekommen? Er hatte doch die Schlüssel. Ausgeschlossen, dass sie das Schloss geknackt hatte. Sie sah nicht so aus, als wüsste sie, wie man so etwas anstellte.
Frustriert ging er auf und ab. Sie wollte sich einfach nicht in das Bild fügen, das er sich von ihr gemacht hatte. Im Kopf hatte er sich ganze Gespräche zurechtgelegt; nette kleine Szenen, in denen er die Führung übernahm, ihr zeigte, was sie tun sollte und wie. Doch wieder und wieder entglitt sie ihm. Trotz ihrer zarten Erscheinung war sie schnell, dunkel und unbeständig wie Quecksilber. Er bekam sie einfach nicht zu fassen.
Und er hatte das verstörende Gefühl, dass sie nachsichtig war mit ihm, dass sie ihn irgendwie lächerlich fand. Er war sich bewusst, dass er eingezwängt war in das, was ihm sein Beruf vorschrieb und was die Gesellschaft von ihm erwartete, während sie im Gegensatz dazu in verschlossene Räume eindrang, einer ungewöhnlichen Arbeit nachging und in seltsam unbestimmte Beziehungen hineinrutschte.
Ein Geräusch.
Er schaute auf.
Eingetaucht in einen Lichtstrahl, der von der Fensterscheibe reflektiert wurde, stand Cate am Fenster, nackt.
Ungeschützt und nichtsahnend streckte sie die Arme über den Kopf und bog den Rücken durch. Ihre Haut war sahnig, ihr Haar weiß in der Sonne.
Er wusste, er sollte den Blick abwenden.
Sie drehte sich um. Ihre Brüste waren klein, mit überraschend großen Brustwarzen. Sie hatten dieselbe Farbe wie ihre Lippen, prall und rosa.
Dann verschwand sie wieder, wie ein flüchtige Erscheinung.
Sie hatte ihn nicht gesehen.
Ihr Körper war ganz anders als in
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