Debütantinnen - Roman
denen er vorher nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß.
Am meisten vermisste er das grandiose, anmaßende Gefühl, kühn in die Zukunft zu schreiten. Wenn er ehrlich war, hatte er sich selbst eine Weile sogar gemocht und die Wirkung, die er auf das Leben hatte, genossen. Jetzt zog er es vor, nicht über sich nachzudenken.
Eines hatte er mit diesem alte Haus gemein: Sie waren beide in einer Zeit erstarrt, von der sie dachten, sie würde andauern, sie klammerten sich an die Erinnerung an eine Vergangenheit, die verblasst und längst vorbei war.
Er schaltete das Licht in der Eingangshalle aus, stieg die Treppe hinauf und tastete sich durch den dunklen Flur in sein Zimmer.
*
* * *
Bristol Hotel
Paris
12. August 1926
Meine liebe Irene,
es tut mir leid, Liebes, dass ich Dir so einen Schreck eingejagt habe. Du musst mir glauben, wenn ich sage, dass ich nicht so viele Probleme machen wollte. Anne und ich wollten nur ein bisschen Ferien haben und uns für ein oder zwei Tage mit Pinky treffen, und Madame Galliot hat, wie immer, alles falsch verstanden. Natürlich hätte sie es uns unmöglich erlaubt, wenn sie es gewusst hätte, also MUSSTEN wir uns einfach eine Notlüge ausdenken − eine ganz kleine. Wir haben ihr erzählt, wir würden übers Wochenende Verwandte von Anne besuchen. Wir hatten, wirklich ziemlich clever, in zittriger Alte-Dame-Handschrift eine hübsche kleine Nachricht geschrieben, in der wir gebeten wurden, zu Besuch zu kommen, und Pinky hatte sie in der Woche vorher in Monte Carlo auf gegeben. Bestimmt hat Eleanor ihr gesagt, dass die Einladung nicht echt war. Und dann ist natürlich alles schrecklich schiefgegangen. Es tut mir leid, denn jetzt weiß ich, dass die Zeitungen sich darauf gestürzt haben − »Tochter eines Peer in Monte Carlo vermisst«. Bevor wir wussten, wie uns geschah, war eine groß angelegte Such aktion angelaufen! Und wir sind die ganze Zeit völlig ahnungslos mit Pinky durch Villefanche spaziert und haben Eiscreme gegessen.
Was mich niederschmettert, ist der Gedanke, dass ich Dir womöglich geschadet habe, meine Liebe. Muv hat mir schon einen sehr strengen Brief geschrieben, in dem sie mir mitteilt, dass mein Tun Deine Aussichten auf eine Verlobung gefährdet haben − kann das wirklich sein? Bitte glaub mir, dass ich dumm und einfältig und selbstsüchtig bin, aber dass ich Dir nie willentlich wehtun würde − um nichts in der Welt! Ich bin absolut, absolut niedergeschmettert! Und jetzt weigert sich Madame Galliot, Anne und mich zu nehmen, und Muv hat den Sohn des Gatten, Nick Warburton, abkommandiert, mich nach Hause zu bringen wie eine Partie schadhafter Ware. Ich sitze also jetzt im Bristol Hotel und warte auf ihn, unter den glänzenden Knopfaugen des Concierge. Ich weiß nicht einmal, wie er aussieht, also werde ich ihn nicht erkennen, und ich habe so viel geweint, dass mein Gesicht ganz verquollen ist und kein Kellner mich bedient.
Bitte verzeih mir, Liebes! Bitte schick mir eine kleine Zeile, um mir zu versichern, dass Du immer noch meine Schwester bist und noch mit mir sprichst! Dein entzückender Baronet wird Dich doch nicht aufgeben, nur weil Du eine Närrin wie mich in der Familie hast.
Oh, Liebes. Gerade ist ein furchtbar dicker Mann mit mürrischer Miene hereingekommen. Wahrscheinlich ist er das. Ich glaube, ich muss wieder weinen.
Deine tränenüberströmte,
reuige D.
M rs Williams war nicht die freundliche grauhaarige Frau aus dem Ort, die Cate sich vorgestellt hatte. Als sie am Morgen hinunterging, um Kaffee aufzusetzen, traf sie auf eine dralle, blondierte Frau in den Sechzigern, die Jeans trug und ein enganliegendes T-Shirt mit der in Strass gesetzten Aufschrift » Verschwenderin«. Das Radio lief, Madonna hämmerte ihr neuestes Tanzstück. Sie plauderte lachend am Handy, während sie gleichzeitig Gemüse schnitt.
Als sie Cate erblickte, winkte sie ihr. »Oh, tut mir leid! Ich muss. Ich ruf dich später noch mal an, okay?«
Wer auch immer es war, achtete nicht darauf, sondern schwadronierte ohne Unterlass weiter. Mrs Williams verdrehte die Augen, und Cate lächelte mitfühlend. Sie zeigte auf die Kaffeemaschine auf der Arbeitsplatte, in der gerade eine frische Kanne durchgelaufen war.
»Schau, Mum, ich muss …!«
Cate nahm sich einen Becher vom Regal und schenkte sich Kaffee ein.
»Ich ruf dich später noch mal an, okay? Achte einfach nicht darauf, was er sagt. Du wartest auf mich, bevor du auch nur an die Dachrinne denkst, verstanden?«
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