Debütantinnen - Roman
gut?«
»Ja.« Sie nickte. »Ich denke nur nach.«
»Wenn Sie etwas brauchen … Ich meine, wenn es Ihnen nicht gut geht, kann ich jemanden rufen.«
Sie stand auf. »Mir geht’s gut.«
»Sicher?«
»Ja. Danke.«
Sie ging weiter, holte sich von dem nahen Informationsstand einen Museumsführer und eilte in den nächsten Raum, wo sie außer Sichtweite des Wachmanns war. Es war der Hauptraum der zeitgenössischen Abteilung mit hohen gewölbten Decken, hellen Oberlichtern und klaren weißen Wänden. Es erinnerte sie an New York, positiv, kühn und bedingungslos.
Sie setzte sich auf eine Bank in der Mitte, schlug den Führer auf und suchte das, was sie hierhergeführt hatte: die Arbeiten von Cecil Beaton in Raum 32. Sie kramte in ihrer Hand tasche und beförderte eine Schachtel Pfefferminzbonbons hervor. Sie lutschte eines, und die zuckrige Frische machte ihr den Kopf frei.
Sie hatte so viele Erinnerungen an die öffentlichen Museen in London: die Wallace Collection, die Tate, die National Gallery … Wie viele Sonntage hatte sie diese Häuser als kleines Mädchen an der Hand ihrer Mutter durchstreift, um die Zeit totzuschlagen? Während sie darauf warteten, dass ihr Vater dort aufwachte, wo er eingeschlafen war − auf dem Sofa im Wohnzimmer −, und das Haus wieder verließ, um in den Pub zu gehen. Während sie darauf warteten, dass es sicher war, nach Hause zu gehen. Also zogen sie durch Galerien und Museen, Eintritt frei. Ihre Mutter versuchte, fröhlich und gut gelaunt zu sein, als wäre es nur ein lehrreiches Abenteuer, das sie schon lange für den Sonntagnachmittag geplant hatte. Doch trotz der Umstände war etwas zu Cate durchgedrungen. Innerhalb der Mauern dieser glorreichen Einrichtungen fühlte sich Cate wie in einer anderen Welt. Sie lernte, die Kunst, besonders die Malerei, als etwas Heiliges zu betrachten, als Zufluchtsort vor der Unberechenbarkeit und dem Chaos des Lebens.
In New York war sie allein durch die Museen gewandert. Ihr Lieblingsmuseum war das Guggenheim, wo sie stundenlang vor den riesigen Pollock-Gemälden saß. Sie liebte es, wie zornig Pollock war, wie hemmungslos. Das war eine Religion, an die sie glauben konnte − eine, die dem Ausdruck verlieh, was jenseits der menschlichen Erkenntnis lag, unauflösbar und zutiefst heilig. Sie träumte davon, eines Tages vor ihren eigenen Gemälden zu sitzen, die an der gegenüberliegenden Wand hingen, und ihren Platz zwischen all dem zu finden, woran sie am meisten glaubte.
Doch dann war sie Derek Constantine begegnet, und er hatte ihre Vorstellung in eine neue Richtung gelenkt. »Pollock ist eine Niete. Sein Wert sinkt mit jedem Tag. Abgesehen davon ist er als Säufer gestorben.«
Seine Worte trafen sie. Er war als Säufer gestorben. Sogar das Gemälde starb, blätterte langsam ab. Die Würde der Kunst, ihr sanftes Versprechen marmorgleicher Unsterblichkeit, war ebenso flüchtig wie alles andere, was Cate lieb und teuer gewesen war. Auch die Kunst war den Launen der Zeit ausgesetzt.
Sie konnte kein Kunstwerk mehr anschauen, ohne zu denken, dass irgendetwas fehlte, dass es vor ihren Augen Risse bekam und verblasste.
»Wir lassen uns etwas Besseres einfallen«, versprach Derek.
London war eine Stadt der Vergangenheit, voller Geschichten, Schatten und höhnischer gesellschaftlicher Spitzfindigkeiten. New York sollte die leere Leinwand sein, auf der sie ein neues Leben erschuf, eine neue Person. Er hatte ihr den Weg gezeigt, sie durch die Fallstricke geleitet.
Doch sie war trotzdem gestolpert und gestürzt.
Cate stand wieder auf und suchte sich den Weg durch die verschachtelten Räume, eilte weiter in die kleineren, intimeren Nebenräume. Die Gemälde wurden von Schwarz-Weiß-Fotos abgelöst, die an dunkle Wände montiert waren. Endlich fand sie Raum 32. Die Arbeiten von Cecil Beaton. Gesellschaftsporträts und Fotos von Filmstars, von den frühen 1920er Jahren bis in die 1970er Jahre, säumten die Wände. Edith Sitwell starrte herrisch, Wallis Simpson bezwingend, und ihr Gatte, der Duke of Windsor, blickte wehmütig in die Ferne, als wäre die Kamera ein zu primitives Objekt, um sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Da war Winston Churchill, wie er den Krieg gewann, Marlon Brando schmollte, Salvador Dalí alberte herum … Douglas Fairbanks jr. bedachte die Zwillingsschwestern Viscountess Furness und Mrs Reginald Vanderbilt mit schmachtendem Blick, zwei Körper mit dem gleichen eindrucksvollen Gesicht, die einander mit unheimlicher
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