Debütantinnen - Roman
hatte, zu verstecken, und Paul in flagranti mit einer unmöglich behaarten Schreiberin für The Week erwischt hat. Anscheinend haben sie gemuht wie die Kühe und haben sie nicht hereinkommen gehört. Die Arme. Sie ist am Boden zerstört, aber gleichzeitig sieht man, dass sie sich danach gesehnt hat, Kaviar zu essen und mal wieder die Vogue zu lesen und diese schrecklich vernünftigen Schuhe auszuziehen und tanzen zu gehen. Ich habe sie sofort zu einem wahrlich dekadenten und bourgeoisen Mittagessen ins Scott’s eingeladen, und dann sind wir im Champagnernebel rüber zu Simpson’s gewankt und haben ihr den absolut umwerfendsten neuen Mantel in Pfauenblau gekauft. Ihr Vater hat sich schon mit den Anwälten in Verbindung gesetzt, obwohl Paul vier Mal geschrieben hat, sie möge doch bitte zu ihm zurückkommen. Doch sie sagt, sie hätte Albträume bis ans Ende ihrer Tage, wenn sie sich an diesen Augenblick erinnert, als sie in der Tür stand und versuchte zu begreifen, was er mit dem kleinen dunklen Mann mit dem Schnurrbart und der schlaffen Brust machte.
Ich denke die ganze Zeit an Dich − wie Du Feste eröffnest, Reden hältst und in örtlichen Büchereien Bänder durchschneidest. Wie gut Du bist! Ich habe Malcolm in London nur sehr kurz gesehen, denn er saust von einem Raum in den nächsten, eine Art nadelgestreifter Schatten. Wie Du Dir vorstellen kann, bewegen wir uns in ganz verschiedenen Kreisen. Ich bin mir sicher, er hält nicht viel von mir, da kannst Du sagen, was Du willst. Und er wird sich ranhalten mit den »herrschenden Klassen«. Kein Wunder, dass der Gatte jedes Mal, wenn er ihn sieht, ganz rosa wird vor Entzücken. (Jetzt aber im Ernst, er errötet tatsächlich! Ich glaube, er ist ein ganz klein wenig verknallt, was vielleicht verständlich ist, wenn man in Betracht zieht, dass er mit Muv verheiratet ist.) Wir sollten vor ein paar Wochen mal an einem Abend im Dorchester speisen, und ich war überzeugt, mich würde eine strenge Moralpredigt erwarten, doch dann wurde im Parlament abgestimmt, und er wurde in letzter Minute weggerufen. Ich weiß, dass er Dir teuer ist, aber ich kann nicht behaupten, ich wäre enttäuscht gewesen.
Aber, mein Engel, wenn ich Dir die Geheimnisse meiner Seele nicht anvertrauen kann – wem dann? Du kennst mich am besten von allen.
Mit all meiner Liebe,
B
D ie National Portrait Gallery war nicht ganz so einschüchternd wie das Nachbargebäude, die National Gallery. Sie war kleiner, beengt, weniger allumfassend. Ein Raum nach dem anderen voller berühmter Gesichter wand sich in wuchernden Windungen nach oben, in jedem denkbaren Stil, von Tudor-Porträts bis zu modernen Gemälden, Fotos und Zeichnungen. Hier wurde für jeden Geschmack etwas geboten − Königshäuser, Prominente, Staatsmänner, Frauen und Männer aus Kunst und Wissenschaft, Politiker, Filmstars. Sie blickten einen an, manche selbstbewusst, andere trotzig oder bescheiden, wieder andere selbstvergessen und nichtsahnend. Es war ein komplexer Überblick über wechselnde gesellschaftliche Normen und Moden, Leistungen, Kontroversen, Selbstdarstellungen, Heldentum und Bescheidenheit im Wandel der Jahrhunderte, die sich in einem stetig wachsenden Jahrmarkt der Eitelkeiten entfalteten.
Dieses Museum kam Cate stets wie eine ausgesprochen englische Einrichtung vor, geschaffen für ein Volk, dem es verhasst war, einander anzusehen oder − viel schlimmer noch − angesehen zu werden. Hier konnte man offen starren und in tausend verschiedenen Gesichtern etwas von dem feinen menschlichen Gewebe sehen, das den sich ständig verändernden Nationalcharakter ausmachte.
Touristen bevölkerten das zentrale Treppenhaus, als Cate die Holzstufen hinaufging. Sie blieb stehen, plötzlich war sie müde und fühlte sich seltsam benommen. Zu wenig Schlaf und nicht genug gegessen. Die seltene englische Hitzewelle und die sture Weigerung der Nation, in Klimaanlagen zu investieren, hatten sie nachts wachgehalten. Zudem waren ihr Zweifel gekommen, ob es richtig gewesen war, den Brief zu verbrennen. Vielleicht hätte sie ihn lesen sollen. Was hatte sie schließlich hier in London? Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und stachen wie mit kleinen Messern auf ihr Selbstbewusstsein ein.
Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, setzte sie sich auf eine Bank. Wenn sie ihren Gedanken doch nur Einhalt gebieten, den Kopf ausschalten könnte. Nach einer Weile trat ein Wachmann auf sie zu, ein pickeliger junger Mann in Uniform.
»Geht es Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher