Debütantinnen - Roman
Händen zur Ruhe kam. »Das ist eine Geschichtsstunde aus dem richtigen Leben«, pflegte er zu sagen. Damals hatte Jack sich nur dafür interessiert, ganze Städte zu kreieren, der Welt mit gigantischen Konstruktionen aus Glas und Stahl seinen Stempel aufzudrücken. Die Besessenheit seines Vaters war ihm wunderlich und exzentrisch erschienen. Wen interessierte es schon, was in der Vergangenheit passiert oder wie ein alter Stuhl in seinen Besitz gekommen war? Verkauf ihn und mach weiter. Das war seine Auffassung gewesen.
Doch als er jetzt die Schreibschatulle aus Mahagoni betrachtete, fühlte er sich seinem Vater unbehaglich nah verbunden. Die Vergangenheit verdiente in der Tat Respekt. Jetzt, da er alt genug war, um eine Vergangenheit zu haben, die ihn verwirrte und vor Rätsel stellte, verstand er das ein wenig besser.
Er faltete das Kissen in der Mitte und schob es sich unter den Kopf.
Er hatte den Wunsch gehabt, die Welt zu verändern, seine Welt, und den Bergen staubiger, modriger alter Möbel im Laden seines Vaters zu entfliehen. Wenn er ehrlich war, war sein Vater ihm, als er jünger gewesen war, peinlich gewesen, und er hatte sich geschämt, in dem Laden in Islington zu arbeiten. Wenn man sagen konnte: »Mein Vater ist Antiquitätenhändler«, hatte das einen gewissen Glanz − denn es implizierte Kompetenz und umfassende Kenntnisse über Stil und Ästhetik. Es war jedoch etwas ganz anderes, in den kalten Wintermonaten in einem ungeheizten, zugigen Laden zu sitzen, in dem sich bis zur Decke schäbige alte Möbel stapelten, unzählige Bücher und Zeitungen zu lesen, Tee zu trinken und darauf zu warten, dass jemand, irgendjemand, aus dem Regen hereinkam und etwas kaufte. Er fand es geisttötend langweilig. Henry hatte ihn zu überreden versucht, sich selbst etwas über das Gewerbe beizubringen, doch damals war Jack zu eingebildet, um sich dafür zu interessieren. Wenn er früh am Tag ein relativ teures Stück verkaufte, konnte er den Laden früher schließen und sich seinem eigenen Leben zuwenden. Er hatte Pläne, besaß Ehrgeiz. Er wollte nicht feststecken wie sein Vater, der von einer Auktion zur nächsten eilte, immer auf der Suche nach einem seltenen, einmaligen Exponat.
Und als Henry dann tatsächlich ein Stück fand, für das sich sein jahrelanger Scharfsinn gelohnt hatte, hatte Jack dafür gesorgt, dass ihm der Profit durch die Lappen ging.
Der seltene georgianische konvexe Spiegel hatte hauchdünnes dunkles Glas und einen reich verzierten Rahmen, der mit gewundenen Efeuranken und zarten, detailliert ausgearbeiteten Spatzen verziert war. Um 1720 gefertigt, war er ursprünglich ein Hochzeitsgeschenk gewesen, in Auftrag gegeben für die Tochter eines Grafen in Wales, die eine besondere Zuneigung zu diesen Vögeln hegte. Henry war beim Verkauf persönlicher Habe in einem Haus in Amersham darauf gestoßen. Eingewickelt in alte Decken, stand er monatelang hinten im Laden, während Henry mit viel Liebe seine Recherchen betrieb, für die man damals noch tief in Bibliotheken und Archive abtauchen musste.
Es war ein trüber Aprilmorgen, als ein gut gekleideter Mann in den Laden kam und sich müßig umschaute. Jack hatte in der Nähe des Heizstrahlers gesessen, der einzigen Wärmequelle im ganzen Laden, hatte Zeitschriften gelesen − Interview und Rolling Stone − und zwischendurch ein bisschen gedöst. Henry wollte im Laden ausdrücklich keine Zentralheizung, denn die würde ja das kostbare Holz der Antiquitäten austrocknen. Der Mann, vielleicht zehn Jahre älter als Jack, begann ein Gespräch. Seine elegante Erscheinung und sein sehnsüchtiger Blickkontakt ließen Jack bald zu der Überzeugung gelangen, er sei schwul. Doch er war ziemlich nett, und man konnte sich gut mit ihm unterhalten; er schien zu verstehen, wie langweilig es in so einem Geschäft sein konnte, besonders dann, wenn man den ganzen Tag allein war. Bald ertappte Jack sich dabei, dass er ihm seine Träume und Ziele anvertraute. Der Mann bewunderte seine Pläne und erklärte Jack, er sei aus New York auf Einkaufstour. Ob es wohl irgendetwas Besonderes gäbe, das nicht im Laden ausgestellt sei.
In dem Augenblick, als Jack dem Mann den Spiegel zeigte, leuchteten seine Augen auf, und Jack spürte, dass er hier ein echtes Geschäft machen konnte. Und als Jack dem Mann den Preis nannte, versuchte der nicht einmal zu handeln. Dabei hatte Jack schon das Doppelte von dem genannt, was er glaubte, was das Ding wert war. Der Mann hatte auf der
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