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Debütantinnen - Roman

Titel: Debütantinnen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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zuvor an Tuberkulose gestorben war. Aus Gwenevere Blythe, die damals erst fünfunddreißig Jahre alt war, wurde Lady Warburton. Sie ließ Irland und ihre katastrophale erste Ehe entschlossen hinter sich, holte ihre beiden heranwachsenden Töchter zu sich und setzte nie wieder einen Fuß nach Dublin. Die schönen Blythe-Schwestern wurden berühmte Debütantinnen und Mitglieder der High Society, und ihre Mutter entwickelte sich mit der Zeit zu einer Säule der katholischen Gesellschaft in London, besonders während des Zweiten Weltkriegs, als die Hingabe, mit der sie katholischen Flüchtlingen aus dem Ausland half, zu einer wachsenden Entfremdung zwischen ihr und ihrem Mann führte.
    Jack sah die Fotos durch. Es gab formelle Gruppenporträts, in einem Fotostudio entstanden, von Gwenevere und den Mädchen. Die Macht ihrer Schönheit traf Jack mit Wucht: volle Lippen, weit auseinanderstehende Augen und ein kühner, herausfordernder Blick. Die Mädchen hatten sowohl die markanten Züge ihrer Mutter geerbt als auch die feinfühligen blauen Augen ihres Vaters. Dann stieß er auf das Foto eines bescheidenen, unauffälligen viktorianischen Hauses in einer ruhigen Straße. »Tir Non Og«, lautete die Bildunterschrift, »benannt nach dem mythischen Feen-Jenseits, das sich als › Land der ewigen Jugend ‹ übersetzen lässt. Es sollte ein Hafen sein, von dem einfache Sterbliche nur träumen konnten, wo das Feenvolk auf ewig spielte, feierte, sich liebte und schöne Musik hörte.«
    Da war es, Benedicts Land der ewigen Jugend − ein ganz alltägliches rotes Backsteinhaus in der Vorstadt.
    Jack lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    Benedict Blythe hatte nur drei Bücher geschrieben und war etwa in dem Alter gestorben, in dem er, Jack, jetzt war. Bei all seinem Talent und seinem anfänglichen Erfolg war das wahre Vermächtnis seines Lebens eine Reihe von emotionalen Kamikazemissionen, bei denen er sich blind in seine kindlichen romantischen Vorstellungen gestürzt hatte, nur um blutbesudelt und geschlagen daraus hervorzugehen und am Ende zu sterben.
    Jack schlug das Buch zu und schaute zu der Uhr an der Wand hinauf. Zwei Stunden waren verflogen. Er kopierte die relevanten Seiten, verließ die Bücherei und spazierte zum Meer, wo er den belebenden Wind kühl und erfrischend im Gesicht spürte.
    Das Traurige war, dass er sich mit Blythe identifizieren konnte. Wie verführerisch, der Wirklichkeit einfach zu entfliehen und in eine andere Welt zu schlüpfen. Doch wie tragisch und jämmerlich die Folgen. Das schäbige kleine Haus, die Schulden und eine junge Frau, betrogen und verarmt, gezwungen, sich einen neuen Mann zu suchen, um ihre beiden Töchter großzuziehen.
    Was hatte er auf der Schreibschatulle geschrieben? Kapitel über die geheimnisvollen, dunklen, sich auflösenden Grenzen zwischen der sichtbaren Welt und der unsichtbaren Welt der Mythologie? Oder vage, verlogene Briefe an Frau und Kinder, verfasst in drittklassigen Bordellen in den kalten, stinkenden Seitenstraßen von Pigalle? War die Schatulle ein Geschenk seiner Braut gewesen, als sie noch an seine aufstrebende akademische Karriere und an ihr gemeinsames Leben geglaubt hatte? Oder hatte er sie selbst gekauft, wieder einmal gerüstet mit guten Vorsätzen und in der festen Absicht, ein neues Leben zu beginnen, geprägt von verlässlichen Bemühungen und Leistungen?
    Für das bloße Auge war die Schreibschatulle wenig mehr als eine Holzkiste. Doch in Wirklichkeit war sie der letzte verbliebene Beweis für einen Traum. Und für ein Leben, das ganz fürchterlich schiefgegangen war.
    *
    Es war sehr früh am Morgen, als Cate ein Taxi in die Upper Wimpole Street nahm, die Tür aufschloss und die Wohnung betrat. Sie war leer. Ohne das Licht einzuschalten, ließ sie im Flur ihre Handtasche fallen und setzte sich auf die Treppe. Oben klapperte ein Fenster, das in der Nacht aufgegangen war. Die Räume lagen im Dunkeln. Die Wohnung wirkte schäbig und trist, wahrlich keine Oase, sondern eine traurige, mittelmäßige Existenz. Sie drückte die Hände aufs Gesicht, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte nichts. Nichts vorzuweisen aus ihren Jahren in New York. Nichts als eine Infektion und eine offene Schuld.
    Er hatte sie verraten.
    Sie wischte ihre Nase mit dem Handrücken ab.
    Sie hatte es immer gewusst. Was sie zu Jack gesagt hatte, war eine Lüge gewesen. Natürlich hatte sie nie direkt danach gefragt, aber in ihrem Herzen hatte sie gewusst, dass es besser war, nicht

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