Debütantinnen - Roman
Stelle einen Scheck ausgestellt und Jack gebeten, ein Taxi zu rufen, das ihn sofort abholte und wegbrachte.
Jack war euphorisch gewesen, hatte, im Gefühl des Erfolgs schwelgend, den Laden früher zugemacht und war gegenüber in den Pub gegangen, um zu feiern. Erst später hatte sein Vater ihm erklärt, dass er den Spiegel um tausende Pfund unter Wert verschleudert hatte. Henry hatte versucht, Kontakt mit dem Händler aufzunehmen; er wollte an das bessere Ich des Mannes appelieren, er möge ihm den Spiegel zurückgeben. Doch vergeblich. Es war klar, dass er sofort gemerkt hatte, dass Jack keine Erfahrung hatte und keinen Respekt vor dem besaß, was er da tat. »Wir sind keine Altwarenhändler!«, hatte sein Vater ihn wütend angebrüllt. »Diese Dinge haben einen wahren Wert, man muss sich nur die Mühe machen, sie zu verstehen!«
Der Vorfall hatte zu einem Bruch zwischen Vater und Sohn geführt. In der arroganten, egozentrischen Art der Jugend hatte Jack seinen Vater viele Jahre lang insgeheim verachtet, für unzureichend befunden, ja, sogar für ein wenig verweichlicht. Dabei war Henry in Wirklichkeit nur ein einfacher, freundlicher, unauffälliger Mensch. An diesem Tag hatte Henry unter all seinem Zorn plötzlich erkennen müssen, dass sein Sohn ihn lächerlich fand.
Jetzt, viele Jahre später, tat Jack immer noch Buße und versuchte, indem er in die Fußstapfen seines Vaters trat, zu beweisen, dass das nicht wahr war. Nur dass sein Vater ihn nicht beachtete, denn er war verloren in seiner eigenen Welt, trieb langsam in die Demenz.
Jack starrte auf die Schreibschatulle, deren weiches Mahagoniholz im warmen Abendlicht schimmerte.
Er empfand es als demütigend, so viele Jahre später erkennen zu müssen, dass seine ganze Karriere bis zu diesem Tag kaum mehr gewesen war als eine ausgedehnte Pantomimen-Vorstellung eines »guten Mannes». Um so demütigender, als er es ganz allein für sich tat. Niemand sonst schaute ihm zu oder bemerkte ihn.
Wie viel von seiner Persönlichkeit steckte in dieser Vorstellung von sich selbst? Dass er »gut« war und dass die Leute das irgendwie sehen konnte, ja sogar die Überlegenheit seiner Handlungen und seines Urteils bemerkten und leise kommentierten? Es war eine falsche Fassade − eine schwer zu fassende Fassade, die von der Gesellschaft ohne weiteres gebilligt wurde. Falsch war und blieb sie trotzdem. Er tat gern so, als sei es gut und nützlich, seine eigenen Bedürfnisse zu opfern. Doch in Wirklichkeit war er schlicht und ergreifend so, weil es ihm in der Nacht Trost spendete, wenn er allein im Dunkeln wach lag und überlegte, wer er war und was er tat. Es war eine mentale Sicherheitsdecke, an die er sich klammern konnte, wenn innerlich das Entsetzen aufstieg. Also … wenigstens bin ich ein guter Mensch.
War nicht auch seine Ehe auf diese Vorstellung gegründet gewesen? Zudem hatte er sich von dem Traum, Architekt zu werden, verabschiedet. Es war zu zeitaufwändig und zu teuer, da doch Geld verdient, ein gemeinsames Leben aufgebaut, ein Haus gekauft werden musste. Er hatte in der Beziehung immer weniger Raum eingenommen und sich eingebildet, Julia würde dies als Beweis für seine Hingabe betrachten. Doch in Wirklichkeit hatte er sich zurückgezogen und sich in der Idee von sich selbst als Liebhaber genauso verloren wie ein Schauspieler in einer Rolle, hoffend, dass seine Frau ihn, wenn er niemals etwas von ihr verlangte, mehr lieben würde. Am Ende war er so vage, so unsichtbar gewesen, dass sie ihn nicht mehr hatte sehen können.
Vielleicht hatte sie ihn deswegen betrogen. Weil sie jemanden suchte, der das Risiko einging, als der gesehen zu werden, der er wirklich war.
Von draußen hörte Jack das Kreischen der Seemöwen, die einander bei ihrem mitternächtlichen Flug etwas zuriefen. Er stand auf, ging ans Fenster und öffnete es. Der Wind war frisch und roch nach Meer. Die drückende Schwüle der vergangenen Wochen war verschwunden.
Und während er so die Aussicht betrachtete, gewaltig und fremd, begriff er, dass er sich an einem Wendepunkt befand. Wie an den meisten Scheidewegen war auch hier etwas zu bezahlen, etwas aufzugegeben, damit man weiterkommen konnte. Vielleicht war es an der Zeit, sich von der Vorstellung, er wäre ein guter Mensch, und dem damit verbundenen kindischen Versprechen moralischer Vollkommenheit zu verabschieden. Es funktionierte nicht mehr, er war herausgewachsen. Vielleicht war es an der Zeit, mit der Vorstellung Frieden zu schließen,
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