Decker & Lazarus 09 - Totengebet
Samenflug selbst angesät hätten. Hinter dem Haus, auf dem rückwärtigen Teil des Grundstücks, erkannte Marge mehrere Reihen hoher Zitrusbäume. Sie atmete den herb-süßen Duft ein. Dann gingen sie zum Vordereingang. Die Ärztin öffnete die Tür, bevor sie sich noch bemerkbar machen konnten. Ihr Teint war wie fahler Marmor, die Haut von einem Schweißfilm überzogen.
Kein Wunder, dass sie schwitzt, dachte Marge. Die Ärztin trug eine dicke Jogginghose und ein Sweatshirt. Musste sich um einen Fall von innerer Kälte handeln. Elizabeth Fulton hatte ein Kindergesicht, ein Eindruck, der wohl hauptsächlich auf ihre Augen zurückzuführen war. Sie waren groß wie Tennisbälle mit einer braunen Iris, die im Moment rot umrandet war. Zwischen den alles beherrschenden Augen saß eine Stupsnase mit Sommersprossen. Ihr Mund war breit, die Lippen voll. Das rostbraune Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Auf den ersten Blick hätte man sie für zwanzig halten können. Erst die Lachfältchen und die Rillen an ihrem Hals waren ein Hinweis auf ihr wirkliches Alter. Marge schätzte sie auf Ende dreißig.
»Dr. Fulton?« Oliver zückte seine Dienstmarke. Elizabeth Fulton warf einen flüchtigen Blick darauf und bedeutete ihnen einzutreten.
Das Wohnzimmer war im pseudo-ländlichen Stil eingerichtet. Die Bezüge der klassischen Couch zeigten ein farbenfrohes Blumenmuster. Dazu gab es passende Sessel. Eine üppige Portiere zierte ein deckenhohes Erkerfenster. Die Spitzenvorhänge vor dem Fenster waren zugezogen, aber lichtdurchlässig. Um ein Uhr morgens allerdings bestand die Szenerie draußen nur aus unbeweglichen Schatten. In der Mitte des Erkers stand ein Schaukelstuhl aus poliertem Holz auf einem Fußboden aus gewachsten Eichenbrettern. Im Kamin loderte ein heftiges Feuer. Es war heiß, und Marge fühlte, wie ihre Achselhöhlen feucht wurden. Die Kaminumrandung war aus dem Stein der Gegend, auf dem Sims standen ein Dutzend Fotos von einem pausbäckigen kleinen, wenige Monate alten Jungen.
»Setzen Sie sich, wo Sie möchten«, flüsterte Dr. Fulton.
Oliver wählte einen Sessel, Marge nahm das Sofa. Die Ärztin stellte sich vor den Kamin und rieb sich die Hände. »Ich sollte nicht hier sein. Ich müsste im Krankenhaus sein … helfen.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
»Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte Oliver.
»Nein.« Sie wischte sich die Tränen mit den Händen ab, verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist passiert?«
»Das versuchen wir herauszufinden«, erwiderte Marge.
»Hat man ihn gekidnappt? Seinen Wagen gestohlen? Ich meine, niemand der wusste, wer er war, hätte ihm ein Haar gekrümmt, oder?«
Oliver zückte sein Notizbuch. »Wollen Sie sich wirklich nicht setzen?«
»Wirklich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine … warum?«
»Wenn Sie uns mit dem Warum helfen könnten, würden Sie allen einen großen Gefallen tun«, seufzte Oliver. »Wann haben Sie Dr. Sparks zum letzten Mal gesehen, Frau Doktor?«
»Gestern Abend. Bei unserem Arbeitsessen.«
»Der Curedon-Besprechung«, spezifizierte Oliver.
»Ja. Woher wissen Sie … Aha, Sie haben wohl mit Dr. Decameron gesprochen?«
»Ja.« Marge nahm ihr Notizbuch. »Fanden diese Besprechungen regelmäßig statt?«
»Ja, und nein. Dr. Sparks hat uns einfach eine kurze Aufforderung geschickt, wenn er sich mit uns treffen wollte. Das kam gewöhnlich ein- bis zweimal pro Woche vor.«
»Und das hat Sie nicht gestört?«
»Gestört? Was soll mich gestört haben?«
»Dass er Sie so kurzfristig zu sich beordert hat, wann es ihm gerade passte.«
Dr. Fulton warf Marge einen gereizten Blick zu. »Er war ein sehr beschäftigter Mann. Selbstverständlich haben wir uns terminmäßig nach ihm gerichtet.«
»Wann genau haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«, wollte Oliver noch einmal wissen.
»Tja, also … Dr. Sparks hat unsere Besprechung diesmal ziemlich schnell beendet. Muss um halb oder Viertel vor acht gewesen sein.«
»Warum hat er die Besprechung abgebrochen?«, fragte Marge.
»Also er hat sie nicht unbedingt abgebrochen. Er hat lediglich ein knappes Resümee gezogen und uns verabschiedet, nachdem er einen Anruf von seinem Sohn erhalten hatte. Einen Grund dafür hat er nicht genannt.«
»Wirkte er nach dem Anruf erregt? Verärgert?«
»Verärgert war Dr. Sparks vorher. Vor dem Telefonat. Er war wütend auf …« Sie hielt inne.
»Wir wissen bereits von Dr. Decameron, dass er eine
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