Decker & Lazarus 09 - Totengebet
zweiundzwanzig Mumps. Seitdem bin ich zeugungsunfähig. Meine Frau und ich haben lange alles Mögliche probiert. Als nichts geholfen hat, habe ich mich an Bram um Hilfe gewandt.«
Luke wandte den Blick ab.
»Auf eine künstliche Befruchtung wollte er sich nicht einlassen, das war gegen seine katholische Überzeugung.« Luke wischte sich die Augen. »Aber offenbar war die Transplantation nicht lebenswichtiger Organe – in unserem Fall ein Organ-Austausch – erlaubt. Für mich war das nicht ganz nachvollziehbar … Vielleicht hatte er sich auch die Erlaubnis beim Papst eingeholt. Ich hab nie viel von Brams religiöser Überzeugung gewusst.«
Rina sah ihn abwartend an.
»Er hat mir einen seiner … na, Sie wissen schon … gegeben.«
Rina konnte ihr Erstaunen kaum noch verbergen.
»Er wollte mir beide geben. Hat behauptet, ihm würden sie sowieso nichts nützen. Aber mein Vater hat sich durchgesetzt. Er wollte es nicht gestatten …«
»Hat Ihr Vater die Operation durchgeführt?«
Luke nickte. »Ja, der Chirurg mit dem scharfen Messer. Zuerst wollte er Bram davon abhalten. Aber wenn sich mein Bruder was in den Kopf gesetzt hatte …«
Rina schwieg.
»Dad hat die OP in seiner Freizeit gemacht, ohne dass je einer davon erfahren hat. Nicht mal meine Frau weiß es. Sie dachte, ich hätte mich wegen eines Leistenbruchs operieren lassen. Jedenfalls hat es mit meinem Vater als Operateur und mit Bram als Spender … funktioniert. Auge um Auge. Zahn um Zahn und so weiter.«
Rina sprach noch immer kein Wort.
»Ich habe vier, fünf Tage in Brams Apartment gewohnt«, fuhr Luke fort. »Dad hat seine Sache gut gemacht. Wir waren bald wieder fit. Und sind beide Männer geblieben. Drei Monate später wurde meine Frau schwanger. Alle waren glücklich. Gott allein weiß, wie meine eigene DNA nach zehn Jahren Drogenmissbrauch ausgesehen hat.«
»Eine wunderbare Geschichte«, sagte Rina. »Stimmt sie wirklich.«
Luke wurde rot. »Ehrenwort. Manchmal gehen die Geschichten auch glücklich aus.«
»Doch wohl eher bitter-süß.«
»Ja, auch das.« Tränen traten in Lukes Augen. »Aber wir nehmen, was wir kriegen können. Ich weiß auch nicht, warum ich Ihnen das erzählt habe. Ich wollte vermutlich, dass Sie wissen, dass er nicht gestorben ist, ohne etwas zu hinterlassen.«
»Danke, Luke.« Rina lächelte melancholisch. »Vielen Dank, dass Sie es mir erzählt haben. Jetzt geht es mir gleich besser …«
»Danke, dass Sie Zeit für mich hatten.«
»Keine Ursache.«
Rina sah ihm nach. Kaum war sein Wagen verschwunden, tauchten Peter und Hannah aus dem Obstgarten auf. Peter hatte eine Hand voll Orangen.
»Deine Tochter kann erstaunlich gut werfen«, sagte er.
»Wie viele hast du sie werfen lassen?«
»Wechseln wir lieber das Thema. Was wollte Luke?«
Rina zeigte ihrem Mann das Päckchen, hielt jedoch die Karte zurück. »Das war offenbar für mich bestimmt, ein verspätetes Geburtstagsgeschenk, das nie angekommen war.«
»Von Bram?«
Sie nickte, riss die Verpackung auf. In der Schachtel lagen zwei Haarkämme aus Schildpatt. Sie zeigte sie Peter. »Er hat sie vor langer Zeit gekauft.«
»Sie sind wunderschön.«
»Ja, das sind sie. Bram hat mein Haar immer geliebt.« Sie sah Hannah lächelnd an, hob sie in ihre Arme. »Komm, mein kleiner Kürbis. Wir machen Saft.«
»Darf ich die Orangen werfen, Mommy?«
»Nein, aber du kannst sie auspressen.« Sie küsste Peter. »Geh wieder schlafen.«
»Gute Idee.« Decker legte sich auf die Couch, starrte zur Decke und dachte an Rinas Worte, dass Bram ihr Haar geliebt habe.
Die Beziehung der beiden musste sehr eng gewesen sein. Wie sonst hätte Bram von Rinas wunderschönem Haar gewusst, das sie vor der Öffentlichkeit stets unter Tüchern verborgen trug?
Von Anfang an hatte Decker geahnt, dass Rina Bram geliebt hatte, und er hatte gewusst, dass ihre Liebe erwidert worden war. Vielleicht hatten sie eine physische Beziehung gehabt, vielleicht auch nicht. Was bedeutete das jetzt noch? Er hatte einmal ein jüdisches Sprichwort gehört, das besagte, dass Eifersucht das Fleisch am Knochen faulen lässt, der Grund, weshalb der Mensch nach dem Tod physisch verfiel. Das war ihm plausibel erschienen. Eifersucht war eine idiotische, triviale Gefühlsregung, eine Verschwendung von Zeit und wertvoller Energie.
Decker dachte an die enge Beziehung seiner Frau zu Bram Sparks, prüfte die Gefühle in seinem Herzen. Da waren nur Wärme und Glück.
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