Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
körperlichen Veränderungen erwähnt hatte. Das hätte ich garantiert nicht vergessen.
Natürlich hatte sie mir nicht gerade viele Ratschläge hinterlassen, was ich tun sollte. Ernsthaft! Wenn ich jetzt Kiemen bekam - von einem Fischschwanz, der in den unpassendsten Momenten auftauchte und wieder verschwand, ganz zu schweigen -, wer konnte schon sagen, was mir in den nächsten Wochen noch alles widerfahren würde und wie, zum Teufel, ich das verstecken sollte? Wenn die Kiemen blieben, bedeutete das etwa, dass ich bald nicht mehr in der Lage sein würde, Sauerstoff zu atmen?
Schauer, die nichts mit der Kälte zu tun hatten, durchliefen mich. Sobald es läutete, sprang ich auf und eilte durchs Klassenzimmer, den Rucksack in den tauben Fingern.
»He, Tempest, wo brennt’s denn?«, wollte Bri wissen.
»Mir geht’s nicht gut«, erwiderte ich halbwegs wahrheitsgemäß. »Ich glaube, ich verziehe mich vor der nächsten Stunde auf die Toilette.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein! Es geht schon. Mir ist nur ein bisschen schlecht. Ich will auf keinen Fall, dass du mir beim Kotzen zuhörst.«
Ich sauste hinaus, noch bevor sie etwas sagen konnte, oder, was noch schlimmer gewesen wäre, Mark. Aber ich war weder auf dem Weg zur Toilette noch zum nächsten Klassenraum. Nein, ich lief zum Parkplatz, als wäre der Teufel hinter mir her. Normalerweise würde es mir im Traum nicht einfallen, die dritte Stunde zu schwänzen. Kunst war mit Abstand mein Lieblingsfach. Aber heute war kein normaler Tag und, Nachsitzen hin oder her, es sah mehr und mehr danach aus, als wäre es für mich überall besser als hier.
Zwei Stunden später brauste ich über den geschlängelten Highway am Strand von Del Mar, obwohl es weiterhin in Strömen regnete. Ich hatte die Heizung voll aufgedreht und mich in meine dickste Jacke gehüllt, aber die Kälteschauer quälten mich immer noch.
Scheiße! Sollte ich so etwa den Rest meines Lebens verbringen? Mir den Hintern abfrieren und mich vor der Welt verstecken?
Ich fuhr zu schnell in eine Kurve, aber da ich seit meiner Geburt über superschnelle Reflexe verfüge - ein interessantes Nebenprodukt der Wassernixengeschichte kam der Wagen nicht einmal ins Schleudern. Die nächste Kurve nahm ich noch schneller.
Ich fuhr leichtsinnig, sogar rücksichtslos, und versuchte mich irgendwie zur Besinnung zu bringen. Aber die Straße war wie leer gefegt, wie immer bei Gewitterstürmen, und das einzige Leben, das ich aufs Spiel setzte, war mein eigenes. Im Augenblick schien mir das kein allzu großer Verlust zu sein. Schließlich würde ich in ein paar Tagen ohnehin Fischfutter sein, wenn sich die Dinge so weiterentwickelten wie bisher.
Als das Wetter noch schlechter wurde, fuhr ich trotzdem langsamer. Nahm ein paar Kurven in gemächlicherem Tempo und blieb schließlich auf dem Seitenstreifen stehen.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und dem wütenden Tosen des Ozeans lauschte, dem hohlen Trommeln des Regens, der auf mein Dach prasselte. Es schüttete wie aus Eimern, Wassermassen strömten über meine Windschutzscheibe und trieben die Brandungswellen gefährlich in die Höhe. Die Brecher, die jetzt hereinkamen, waren gigantisch und verdammt gefährlich.
Ich sehnte mich danach, sie zu reiten, obwohl mein Vater mir das ausdrücklich verboten hatte. Er sprach so selten ein Machtwort aus, dass ich mich gewöhnlich daran hielt - vor allem, wenn er mir Geschichten von Freunden erzählte, die er bei ebensolchen Verhältnissen verloren hatte.
Die Geschichten hatten mir Angst gemacht, wie es seine Absicht gewesen war, aber heute war Angst nicht genug, um die Sehnsucht abzustellen, das tief verwurzelte Verlangen, mich in die Fluten zu stürzen und mich ihnen einfach zu überlassen.
Ich weiß bis heute nicht, was mich zu dem trieb, was ich als Nächstes tat. Ohne auf den Regen, die Kälte, meine klappernden Zähne und halb erfrorenen Glieder zu achten, stieg ich aus dem Wagen und ließ Regen und Wind auf mich einstürzen.
Der Sturm zerrte an meinen Haaren und peitschte meine empfindliche Haut, bis mir vor Schmerzen die Tränen über das Gesicht liefen. Ein Blitz zerriss den Himmel und leuchtete über dem Ozean auf, ehe nur Sekunden später der Donner den Boden erbeben ließ. Doch ich stand immer noch da und weigerte mich, ins Auto zu steigen, wo es sicher war.
Ich hieß nicht umsonst Tempest, was »Sturm« bedeutet.
Unwillig, mich Wind, Regen oder der Stimme in meinem Kopf zu fügen, die mich aufforderte, zu
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