Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
verschwinden, stolperte ich zum Wasser hinunter. Das schien mir immer noch besser, als im größten Wutanfall aller Zeiten aus vollem Halse »Das ist nicht fair!« zu brüllen.
Das Leben ist nicht fair, mein Kind. Zum ersten Mal seit Jahren hörte ich wieder die Stimme meiner Mutter im Kopf. Manchmal muss man das Beste aus dem machen, was man hat. Dieser Rat hätte besser gewirkt, wenn er nicht ausgerechnet von einer Frau gekommen wäre, die vor jeglicher Verantwortung in ihrem Leben davongerannt war.
Ein steiniger Pfad führte vor mir zum Strand hinab, den ich, rutschend und schlitternd, unbeirrt hinunterstolperte. Ich wollte einfach nur zum Wasser; wollte spüren, wie der Ozean meine Füße umspülte, ehe er meinen zerbrechlichen menschlichen Körper einhüllte; wollte frei sein, wie ich es an Land nicht konnte.
Ich schlitterte die letzten Meter zum Strand hinab und fiel platt auf den Hintern, als mir die Beine wegrutschten. Ich kam hart auf, so hart, dass ich nicht sofort wieder aufstand. Ich saß einfach da, mitten im Sturm, den unangenehm kalten Sand unter mir, und überließ mich dem Regen.
Mir war so kalt wie noch nie im Leben, ich war halb erfroren, und mein Körper versuchte mit aller Kraft, in diesem Wolkenbruch die Wärme zu speichern. Auch das war eine Mitgift meiner Mutter, die Unfähigkeit, die eigene Körpertemperatur zu regulieren, außer im Wasser. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich wirklich so kaltblütig war, wie ich mich fühlte.
Ein Farbfleck mitten in den blaugrauen Wellen fiel mir ins Auge und ich wunderte mich, ob ich vielleicht fantasierte. Doch als ich wieder hinsah, war er immer noch da: mitten in den bedrohlichen Wellenbergen blitze etwas Rotes auf.
Der Regen prasselte immer noch so fest herab, dass ich einen Moment lang glaubte, es sei nur eine Lichtspiegelung im Wasser, wie ein Regenbogen. Doch bei dem Sturm gab es keine Sonne und so gut wie kein Licht.
Ich sprang auf, wischte mir das Wasser aus den Augen und schirmte sie mit den Händen vor dem Regen ab, während ich wieder nach dem kleinen karmesinroten Punkt Ausschau hielt.
Da war er! Mein Herzschlag verdoppelte sich, als mir klar wurde, was ich dort sah. Da draußen war jemand. Irgendjemand schwamm in der schäumenden, sturmgepeitschten See.
Was für ein Schwachkopf war mein erster Gedanke.
Und mein zweiter, dass er nicht die geringste Chance hatte, ans Ufer zurückzukommen. Nicht in diesem Sturm. Er würde bei dem Versuch sterben.
Ich suchte nach meinem Handy und wollte die Notrufnummer 911 wählen - im Winter waren diese Strände nicht bewacht -, während ich gleichzeitig die Schuhe abstreifte und mich, ohne mir dessen richtig bewusst zu sein, darauf einstellte, ins Wasser zu springen und diesen Idioten zu retten.
Nur dass mir, während wertvolle Sekunden verstrichen, allmählich klar wurde, dass dieser Jemand keine Rettung brauchte. Vor meinen wütenden und entsetzten Augen richtete er sich mitten in den sturmgepeitschten Wellen kerzengerade auf.
Für einen flüchtigen, bizarren Moment stieg das Wasser so hoch, dass es aussah, als schwebte er über den Wellen, als könnte er buchstäblich über das Wasser laufen.
Doch dann brach die Welle und ich begriff, dass er tatsächlich auf den Monsterbrechern ritt und sein Brett durch das aufgewühlte Wasser glitt, als wäre es Softeis. Sein roter Schwimmanzug war ein Leuchtfeuer des Wahnsinns.
Mein Gott, war alles, was ich denken konnte, während ich ihn wie einen Großmeister durch die Wellen manövrieren sah.
Und mein Gott, was gäbe ich dafür, dort draußen bei ihm zu sein - Wahnsinn hin oder her.
Die Wellen um ihn herum wogten und schäumten furchterregend, doch man hätte meinen können, er veranstalte mitten in diesem Tosen ein Picknick. Er kam nicht einmal ins Schwanken, blieb perfekt in Position, während er die Welle runterrockte, wie ich es an meinen besten Tagen nicht fertigbrachte.
Als er sich schließlich auf sein Board fallen ließ, war ich ebenso enttäuscht wie erleichtert. Ihm zuzusehen war, als sähe man der Kunst dabei zu, wie sie zum Leben erwacht.
Unsicher, wie ich ihn ansprechen sollte, starrte ich über den matschigen, vollgesogenen Sand. Der Impuls, zu ihm zu gehen, war wie ein Zwang.
Wir trafen gleichzeitig am Saum des Wassers ein. Sobald ich ihn richtig zu Gesicht bekam, blieb ich unsicher stehen, während er dem Ozean entstieg wie Poseidon persönlich: ein nasses Muskelpaket, braun gebrannt und geschmeidig.
Obwohl ich gut eins
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