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Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Titel: Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scotty
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auf beiden Seiten ein wenig auseinander.
    Meine Hände fingen an zu zittern, so deutlich, dass ich den Spiegel in die Tasche zurückwarf. Mark und Bri starrten mich an, als hätte ich den Verstand verloren, doch ich wusste nicht, was ich ihnen sagen sollte, wusste nicht einmal, ob ich ihnen ins Gesicht sehen konnte.
    Ich hatte mich im Ozean nicht verletzt oder mich, ohne es zu merken, geschnitten. Nein, so einfach lagen die Dinge nicht. Es war Millionen Mal schlimmer.
    Nein, Milliarden Mal schlimmer.
    Ein einziger Blick auf die leicht gewölbten und minimal geöffneten Schlitze hatte mir genügt, um genau zu wissen, um was es sich handelte. Schließlich hatte ich sie schon einmal gesehen - tagtäglich während der ersten elf Jahre meines Lebens -, bei meiner Mutter.
    Die kurze, aber beschwerliche Reise zwischen meinem Leben und dem ultimativen Wahnsinn hatte soeben eine Abkürzung genommen. Irgendwann zwischen dem Moment, als ich heute Morgen, kurz bevor ich aus dem Haus ging, das letzte Mal in den Spiegel gesehen hatte, und jetzt, waren mir Kiemen gewachsen.
    Kiemen? Das Entsetzen hallte in mir wider wie ein Donnerschlag. Ich hatte Kiemen ?
    Ich fuhr mit den Fingern über die kleinen Schlitze und sagte mir, dass es noch eine andere Erklärung geben musste. Doch selbst im Schockzustand war ich klug genug, um zu wissen, dass ich mit Selbstbetrug nicht weit kommen würde. Vor allem jetzt, wo mein Freund und meine beste Freundin mich anstarrten, als wäre mir mein Surfboard einmal zu oft an den Kopf geknallt.
    Was ich ihnen nicht verübeln konnte.
    »Was ist los?«, zischte Bri, als Mr Keppler anfing, die Anwesenheitsliste durchzugehen.
    Ich stellte meinen Kragen auf, um den Beweis zu verstecken, dass ich mehr - oder weniger - war als ein Mensch. »Nichts.«
    Der Blick, den sie mir zuwarf, besagte, dass sie mir ebenso wenig glaubte wie Mark.
    Ich senkte den Kopf und gab mir alle Mühe, normal zu wirken. Aber wie sollte das gehen? Bislang waren mir an diesem Morgen zuerst ein Fischschwanz und dann Kiemen gewachsen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass mir schon wieder eiskalt war und ich die Zähne zusammenbeißen musste, um der Klasse kein geklappertes Ständchen zu bringen.
    Ja, ich war völlig normal. Für ein Monster.
    Mr Kepplers Unterricht, der normalerweise wie im Flug verging, schleppte sich mit der schmerzhaften Langsamkeit einer Wurzelbehandlung dahin. Während er über den Großen Gatsby schwadronierte, über Gläser und das Tal der Asche, konnte ich nur daran denken, dass mein Leben zu Ende war.
    Ich war sechzehn und alles, was ich kannte, alles, was ich vom Leben wollte, löste sich um mich herum in Rauch auf und es gab nichts, was ich tun konnte, um es aufzuhalten.
    Ebenso wenig wie ich mich davon abhalten konnte, mit den Fingern über meine neuen Kiemen zu fahren, in der Hoffnung dass sie, genau wie der Fischschwanz, nach ein paar Minuten wieder verschwinden würden. Bis jetzt half mir alles Wünschen kein bisschen weiter.
    Panik, Fassungslosigkeit und Entsetzen kämpften um einen Platz in meinem Innern und ich versuchte standhaft alle diese Gefühle zu ignorieren. Doch sie waren heimtückisch und schon bald musste ich mich mit aller Kraft konzentrieren, um ruhig sitzen zu bleiben und auf das blöde Klingeln zu warten.
    Noch schlimmer war, dass sich durch all diese vertrackten Gefühle eine weitere Empfindung bohrte, zu der ich mich inzwischen gar nicht mehr für fähig gehalten hatte.
    Ich fühlte mich von meiner Mutter verraten. Sie hatte jedem meiner Brüder und mir einen Brief hinterlassen, als sie in unbekannte Gefilde aufgebrochen war. In meinem stand, dass ich mich eines Tages würde entscheiden können, was aus mir werden sollte. Die Veränderungen würden nicht einsetzen, ehe ich siebzehn wurde, hatte sie geschrieben. Nach meinem Geburtstag würde mich eine überwältigende Sehnsucht nach dem Meer überkommen, der nur schwer zu widerstehen sei. Und ich würde drei Monate Zeit haben, mich zu entscheiden, wie ich mein restliches Leben verbringen wollte.
    Das hier fühlte sich nicht an wie ein Wahl; eher so, als sei mein Körper vom Schicksal gekidnappt worden und mein Verstand nur zufällig mit von der Partie. Es sah meiner Mutter ähnlich, die wichtigsten und schwierigsten Teile der Gleichung wegzulassen. Ich hatte den Brief so oft gelesen, dass ich ihn selbst jetzt noch, Jahre später, auswendig konnte, und ich wusste mit Sicherheit, dass sie an keiner Stelle irgendwelche unkontrollierbaren

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