Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
dass ich auch nicht anders aussah. Weder war mir über Nacht ein langer Fischschwanz gewachsen, noch irgendetwas anderes, mit dem ich in einer Menschenmenge auffallen würde. In einer plötzlichen Anwandlung von Optimismus fuhr ich mit den Fingern über die zarte Haut hinter meinen Ohren. Da ich offensichtlich eine Entscheidung getroffen hatte, waren auch sie vielleicht verschwunden. Nein, die Kiemen waren immer noch da. Auch wenn ich mich nicht hineinsteigern wollte, drängte sich mir die Frage auf, ob sie vielleicht für immer bleiben würden. Als Erinnerung an das, was ich abgelehnt hatte.
Ich hörte in der Küche Töpfe klappern und nach einem letzten vergewissernden Blick in den Spiegel machte ich mich auf den Weg, um nachzuschauen, was meine Brüder dort veranstalteten.
Doch es waren nicht meine Brüder, die in aller Frühe über den Kühlschrank herfielen. Es war mein Vater, der einmal mehr in Boardshorts und Surfer T-Shirt dastand, die blonden Haare über den Augen, sodass er eher aussah wie einer meiner Freunde als wie ein Mann in mittleren Jahren. Es sei denn, man ignorierte die Tarnung und sah tief in seine Augen, sah die Trauer, die er nicht verstecken konnte.
Ich hatte schon den Mund aufgemacht, um ihn zu fragen, was er vorhatte, als er den Kopf hob und mich bemerkte. »Tut mir leid«, murmelte er verlegen, während er ein paar Eier in eine Schüssel aufschlug. »Ich wollte dir ein Geburtstagsfrühstück machen. Ich hatte nicht vor, dich zu wecken ...« Als er mein nasses Haar und die sandverkrustete Kleidung bemerkte, verstummte er.
»Warst du so früh am Morgen schon schwimmen?«, fragte er trocken. »Oder eher spät nachts?«
»Ich konnte nicht schlafen.« Ich umrundete den Küchenblock, holte Brot aus dem Speiseschrank und steckte vier Scheiben in den Toaster.
»Ich auch nicht. Komisch, dass ich nicht gehört habe, wie du gegangen bist.«
»Ich war ganz leise.« Ich sah zu, wie er ein Stück Butter in der heißen Pfanne zerlaufen ließ und lauschte dem vertrauten Zischen mit knurrendem Magen. Was essen Wassernixen eigentlich?, fragte ich mich geistesabwesend. Schließlich konnten sie hundert Meter unter dem Meeresspiegel schlecht den Herd anwerfen.
»Nimm mich das nächste Mal mit.« Geschickt verrührte er mit dem Schneebesen die Eiermasse und ließ sie dann in die Bratpfanne laufen. »Dann paddeln wir zusammen raus.«
Ich fuhr regelrecht zusammen vor Überraschung. »Du wärst mit mir rausgepaddelt? Aber du magst doch nicht mehr sur...« Ich biss mir auf die Zunge, um nicht noch mehr herauszuposaunen.
Dad wandte sich von den Rühreiern ab und sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Glaubst du das wirklich? Dass ich das Surfen nicht mehr mag ? Wenn ja, liegst du völlig falsch.«
Ich gab keine Antwort, die Nachdrücklichkeit seiner Worte ging mir nicht aus dem Kopf. In der Stille, die sich zwischen uns ausdehnte, klang es wie ein Schuss, als der Toaster die Brote ausspuckte. Da ich nicht wusste, was ich anderes tun oder sagen sollte, zog ich die Scheiben heraus und begann sie so konzentriert mit Butter zu bestreichen, als ginge es dabei um Leben oder Tod.
»Tempest? Antworte mir.«
Ich zuckte verlegen die Achseln. Beim Navigieren durch die trüben Beziehungsgewässer meiner Eltern fühlte ich mich immer wie ein leckgeschlagenes Boot. »Du bist nicht mehr oft draußen.«
»Ja, du hast recht, das bin ich nicht.« Er sah hinaus auf den Pazifik. »Das sollte ich vermutlich ändern.«
»Ich wollte damit nicht sagen -«
»Das weiß ich.« Er dachte gerade noch rechtzeitig an die Eier und rührte sie ein letztes Mal um, ehe er sie auf zwei Teller verteilte. Dann trug er sie zum Tisch und lud mich mit einer Handbewegung zum Sitzen ein.
»Du hast recht. Eine Weile lang mochte ich das Wasser wirklich nicht mehr.«
»Weil es dir Mom weggenommen hat. Ich weiß, ich verstehe das.«
Seine Augen waren unergründlich, als er mich über den Frühstückstisch hinweg ansah. »Nein, Tempest. Nicht, weil es mir deine Mutter weggenommen hat - wie sollte es das auch anstellen? So mächtig und schön das Meer sein mag, es ist trotzdem kein lebendiges Wesen. Es könnte deine Mom nicht holen, selbst wenn es das wollte. Es war ihre Entscheidung. Sie ist gegangen - nicht weggeholt worden.«
Der Toast war wie Sägemehl in meinem Mund und ich hatte Mühe, trotz des Kloßes in meinem Hals zu schlucken. Es war also endlich so weit, endlich würden wir über meine Mutter reden.
Als ich schließlich wieder sprechen
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