Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
begriff ich gar nicht, was passiert war. Ich war zu beschäftigt mit der prickelnden Kraft, die meine Adern durchströmte. Es war ein Adrenalincocktail für mein Nervensystem, ein Energiestoß direkt ins Herz und in jeden Muskel meines Körpers.
Ich konnte die Kraft in mir spüren, elektrische Turbulenzen, die aus dem, was ich war, das formten, was ich werden würde.
Zuerst konnte ich vor Verblüffung nur vor mich hinstarren, doch dann blendete ein Gedanke alle anderen aus: Mark hatte Kona weggestoßen, so fest er konnte, und der hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle gerührt. Ich hingegen hatte nicht mehr getan, als ihn zu berühren, und er landete auf der anderen Seite des Wohnzimmers.
»Kona?« Mein Ruf war ein bebendes Flüstern, das eher nach einem verängstigten kleinen Mädchen klang als nach einer selbstbewussten Frau, doch es war alles, was ich im Augenblick zustande brachte.
»Ist schon okay, Tempest«, sagte er und kam wieder auf mich zu.
Aber es war nicht okay. Ich sah es an der Art, wie Mark mich anstarrte, als wäre mir tatsächlich gerade der Fischschwanz .gewachsen, über den ich mir vorher solche Sorgen gemacht hatte. Als ich seinem entsetzten Blick folgte, begriff ich auch, warum. Diesmal war ich diejenige, die leuchtete.
Es war nicht nur das klägliche bilde-ich-mir-das-nur-ein-oder-nicht-Leuchten, das Kona an jenem Tag am Strand ausgestrahlt hatte. Nein, so zurückhaltend war ich nicht. Mit meiner Wattzahl hätte man gut und gern ein kleines Dorf versorgen können - oder ein Atomkraftwerk.
Als Kona den Arm nach mir ausstreckte und Mark vor mir zurückwich, tat ich das Einzige, was mir einfiel. Ich floh.
Dritter Teil
»Die Stimme des Meeres spricht zur Seele.«
KATE CHOPIN
13
Ich rannte, bis mir die Waden wehtaten.
Bis meine Lunge bebte.
Bis sich mein Herz anfühlte, als würde es gleich explodieren.
Dann rannte ich noch ein Stück weiter, stürzte den langen, menschenleeren Strand so hastig hinunter, dass bei jedem Schritt der Sand aufspritzte.
Erst als ich schon nicht mehr klar sehen und meinen Puls im Kopf dröhnen hören konnte, ließ ich mich in den weichen Sand fallen und versuchte meine Gefühle - und meinen aufsässigen Körper - unter Kontrolle zu bekommen.
Wenigstens leuchtete ich nicht mehr. Das war immerhin etwas, oder nicht?
Allerdings war ich von meiner eigenen Geburtstagsparty geflohen. Nicht, dass mir etwas anderes übrig geblieben wäre. Ich meine, was hätte ich den Leuten sagen sollen, sobald sie mein kleines Problem bemerkten? Dass ich früher am Tag in einen Bottich mit Giftmüll gefallen und das Leuchten eine unbedeutende kleine Nebenwirkung war? Legenden waren eine Sache, aber diese ganze Wassernixengeschichte und mein Part darin erinnerten mehr und mehr an einen Comicstrip. Und das gefiel mir nicht. Es gefiel mir ganz und gar nicht.
Der Wind frischte auf, er fegte um mich herum, spielte mit meinem Haar und ließ mich schaudern. Ich achtete nicht darauf, weil ich völlig mit der Frage beschäftigt war, was ich nun tun sollte.
Wie konntest du mich einfach im Stich lassen, Mom? Wie kannst du nur woanders sein, wenn ich dich so dringend brauche?
Es war dumm. Trotzdem konzentrierte ich mich mit aller Kraft auf diese Frage und hoffte wider jede Vernunft, dass sie mich vielleicht hören würde. Dass sie meine Not irgendwie spüren und nach Hause kommen würde, wie sie es vor langer Zeit versprochen hatte.
Wie konntest du es nur mir überlassen, allein damit klarzukommen?, warf ich ihr vor. Schließlich ist dein blöder Brief als Verhaltensanleitung nicht gerade hilfreich.
Ich brauche dich, Mom. Ich brauche dich.
Ich kniff die Augen zusammen und wartete eine gefühlte Ewigkeit. Doch die Antwort blieb aus.
Wie überraschend!
Wann war sie jemals zur Stelle gewesen, wenn ich sie gebraucht hätte? Wann hatte sie jemals zuerst an andere gedacht? Wenn es das war, was das Dasein als Wassernixe ausmachte, dann wollte ich nichts damit zu tun haben. Sie konnten ihre verrückte, durchgeknallte Verwandlung wieder mit in die Tiefe nehmen, dahin, wo sie hergekommen waren.
Das willst du nicht wirklich. Stell dir nur vor, was du mit all der Macht anfangen kannst.
Die Stimme war schlau und gerissen und sie schlüpfte so leise in mich hinein, dass ich sie kaum bemerkte. Ich zog die Knie an die Brust und begann zu grübeln.
Du musst das Geschenk annehmen und dich selbst akzeptieren. Eine Wassernixe zu sein, ist kein Fluch, sondern ein wunderbares,
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