Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
Verstandes, dessen Existenz ich mir selbst kaum eingestehen mochte, absolut berauschend.
Ich wusste nicht, ob es die Schwerkraft, das Grauen oder eine Kombination aus beidem war, das mich derartig antrieb; auf jeden Fall schraubte ich mich hinunter, als wäre der Teufel hinter mir her. Immer tiefer und tiefer, bis mir das Wasser von allen Seiten zusetzte. Es fühlte sich nun nicht mehr leicht an, sondern so schwer, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. So schwer, dass ich außer dem Druck in meinem Kopf, meiner Brust und meinen Gliedern kaum noch etwas spürte.
Ich war kurz vorm Durchdrehen und wollte abbremsen, doch irgendein innerer Zwang trieb mich vorwärts. Irgendetwas sagte mir, dass ich es tun und dorthin schwimmen musste. Für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete ich, dass alles nur eine Falle war, dass sie Kona als Lockmittel benutzt hatte, um mich zu ihr zu bringen.
Doch dann war auch dieser Gedanke verschwunden, während wenige Meter vor mir in einem merkwürdig phosphoreszierenden Licht der Boden des Ozeans auftauchte. Ich wollte anhalten und meinen unglaublichen Schwung abbremsen, doch es war zu spät. Ich schlug hart auf, schlitterte über den Sand und überschlug mich schier endlose Male.
Als ich schließlich anhielt, war ich voller Blutergüsse und Schürfwunden und komplett benebelt, aber wenigstens war ich am Leben. Und einigermaßen unverletzt. Einen Moment lang blieb ich platt auf dem Hintern sitzen und versuchte die Orientierung wiederzufinden, während die Welt aus Wasser um mich herumwirbelte.
Die Farben waren hier unten viel intensiver. Vibrierende Pink-, Grün- und Lilatöne sausten in kaleidoskopartigen Bildern um mich herum, die meine Augen einfach nicht klar erfassen konnten.
Als die Welt endlich aufhörte, sich zu drehen, begriff ich, dass ich mich mitten in etwas befand, das als unterirdische Stadt durchgehen könnte. Überall waren Höhlen und riesige Bauten aus Steinen, Korallen und Muscheln. Merkwürdige schwarze Wesen, wie lange, schmale Seelöwen, schwammen zwischen den Bauten hin und her. Sie wurden von Kreaturen begleitet, die aussahen wie ich. Genauer gesagt, wie Kona mit seinen langen schwarzen Haaren und den merkwürdigen Silberaugen.
Wassernixen, dachte ich benommen, als ein paar von ihnen an mir vorüber schwammen. Besser gesagt Wassermänner, denn es waren männliche Wesen. Allerdings hatten sie keine Schwanzflossen, womit das, was ich sah, mehr oder weniger unmöglich war. Menschen konnten unter Wasser nicht atmen.
Natürlich hatte auch ich keinen Fischschwanz. Mein Verstand, der nun endlich wieder einsetzte, bemühte sich, die Teile zusammenzufugen.
War die Sache mit dem Fischschwanz nur ein Märchen?
Hatten Wassernixen am Ende gar keine Schwanzflosse?
Aber wie sollte das möglich sein? Ich erinnerte mich, als Kind einige Male den Nixenschwanz meiner Mutter gesehen zu haben, als wir im Wasser und weit weg vom Ufer waren. Er leuchtete in intensiv schimmerndem Smaragdgrün. Das hatte ich mir mit Sicherheit nicht eingebildet.
Kona hatte mir erzählt, dass es im Meer neben den Wassernixen noch viele andere halbmenschliche Wasserwesen gäbe. Waren diese Leute hier die Wesen, die er gemeint hatte?
Eines von ihnen kam lächelnd auf mich zu. Ich erwiderte ihr Lächeln, unsicher darüber, was sie von mir wollte. Als sie keine Anstalten machte, zu verschwinden, wollte ich mich an ihr vorbeimogeln, doch sie stellte sich mir erneut in den Weg.
Offensichtlich gab es irgendetwas, das sie mir sagen wollte, nur hatte ich keine Ahnung, was es war. Klar war nur, dass sie mich nicht in Ruhe lassen würde, bis ich es herausgefunden hatte.
Lange Zeit starrten wir uns einfach an. Mit ihren großen, ausdrucksvollen Augen folgte sie jeder meiner Bewegungen, als erwarte sie förmlich, dass ich wissen müsste, was sie wollte. Doch das tat ich nicht und je länger wir so verharrten, desto unangenehmer fühlte ich mich.
Zum einen war ihr Blick viel zu direkt; er verriet, dass sie mehr in mir lesen konnte, als mir lieb war. Ich hatte so viel Zeit meines Lebens damit verbracht, zu verbergen, wer ich wirklich war, dass ihre Fähigkeit, in mich hineinzublicken, mir mehr als unheimlich war.
Hinzu kam die Tatsache, dass sie absolut hinreißend aussah - wie anscheinend alle hier unten - und wie eine Unterwasserkönigin gekleidet war, mit einem purpurroten Gewand aus leichtem, durchscheinendem Material. Ich war mir nie unscheinbarer vorgekommen als in diesem Moment, wo
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