Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
Überlebenstrieb. Ich duckte mich im letztmöglichen Moment und fiel hart auf den Höhlenboden. Malu prallte seitlich gegen die Wand, hatte sich aber kurz darauf schon wieder aufgerichtet und ging erneut auf mich los.
So schnell ich konnte, kroch ich im Krebsgang über den Boden - zum Hochziehen blieb kein Zeit - und fuhr mit den Fingern verzweifelt von hier nach da, auf der Suche nach irgendetwas, das ich als Waffe benutzen konnte. Ich war fast an der Wand, als ich es fand: ein langes, rasiermesserscharfes Stück Muschelschale, das mir tief in den Finger schnitt.
Ich achtete nicht auf den Schmerz und das Blut, das meine ohnehin bereits glitschige Hand noch glitschiger machte, packte die Scherbe und wartete.
Er war fast über mir, mörderische Wut spiegelte sich in seinem Gesicht, als er mit dem Messer auf meinen ungeschützten Hals losging. Er hatte sich leicht vorgebeugt und ich wusste, dass ich nur diese eine Chance hatte. Ich richtete mich schlagartig auf, was ihn erschreckte, wich seinem Messer aus und stieß das Muschelstück mit einem inneren Schrei und all meiner Kraft nach oben.
Es traf seinen Bauch, durchbohrte Haut und Muskeln, als wären sie kaum mehr als das Wasser, das uns umgab. Jetzt war er es, der schrie, dann fiel er mit ungläubigem Blick hintenüber und das Messer landete klirrend auf dem Meeresboden. Er presste die Hände auf den Bauch, in den ich die Scherbe so tief wie möglich hineingetrieben hatte.
Ich kroch zu dem weggeworfenen Messer, während er an der Muschelschale zerrte, um sie herauszuziehen. Doch sobald ich den Messergriff gepackt hatte, kümmerte ich mich nicht länger um das, was mit ihm geschah. Ich schwamm, so schnell ich konnte, zur Öffnung der Kammer.
Das Letzte, was ich hörte, ehe das Wasser von seinem Blutgetränkt wurde, war Malus gequältes Stöhnen. Er hatte das Muschelstück herausgezogen. Meine eingerosteten Erste- Hilfe-Kenntnisse sagten mir, dass er keine Bedrohung mehr darstellte. Mit einer solchen Verletzung würde er in kürzester Zeit verbluten.
Als ich den Eingang der Höhle erreichte, drehte ich mich nicht mehr um. Ich konnte es nicht. Stattdessen floh ich aus der Höhle geradewegs in den ungeschützten Ozean.
23
Sobald ich draußen war, begriff ich, dass Malu und sein Messer nicht das Schlimmste waren, das mir an diesem Tag begegnen würde. Oliwa lag auf dem Meeresboden, seine blicklosen Augen starrten zu mir herauf und eine tiefe Schnittwunde in seinem Hals sagte mir alles, was ich über die Art seines Todes wissen musste.
O Gott! Konas Bruder war tot und Malu hatte ihn umgebracht. Was sollte ich jetzt tun? Was konnte ich tun?
Ich sah nach oben. Zwar war ich zu weit entfernt, um erkennen zu können, was vor sich ging, doch befanden sich Meereswesen aller Art auf der Flucht zum Grund des Ozeans, um dem zu entkommen, was sich an der Oberfläche abspielte.
Einen Moment lang wollte ich mit ihnen fliehen, einfach ab- hauen und so tun, als sei nichts von all dem geschehen.
Als wäre Konas Bruder nicht tot.
Als hätte ich nicht gerade jemanden umgebracht. Der Umstand, dass Malu mit mir genauso verfahren wäre, hätte ich mich nicht verteidigt, machte die Tatsache nicht erträglicher.
Wie bin ich bloß hierher geraten ?, fragte ich mich und sah Fische, Kraken und sogar Haie an mir vorbeischnellen. Wie hatte ich mich innerhalb weniger Tage von einer ganz normalen Highschool-Surferin in eine halbfertige schwanzlose Wassernixe verwandeln können, die Leute umbrachte? Ich wollte das nicht.
Ich hatte es nie gewollt.
Mein Magen verkrampfte sich vor Elend und ich fürchtete schon, mich übergeben zu müssen. Ich zitterte heftig und hatte nur den einen Wunsch, mir ein stilles Plätzchen zu suchen, wo ich mich zusammenrollen und vor mich hin schluchzen konnte. Ich schloss die Augen und versuchte mich zusammenzureißen, doch alles, was ich vor mir sah, war Oliwa mit seiner durchschnittenen Kehle und Malu, dem die Muschelschale aus dem Bauch ragte und dessen Gesicht vor Schmerz verzerrt war.
Ich hatte ihn umgebracht. Ich probierte die Worte aus und versuchte, nicht auf den schrecklichen Geschmack zu achten, den sie in meinem Mund hinterließen.
Ich hatte jemanden umgebracht.
Ich hatte jemanden umgebracht, der Malu hieß, der dunkle Augen und langes, schwarzes Haar hatte und noch ein halber Junge gewesen war.
Ich hatte ihn umgebracht.
Dann übergab ich mich und stützte mich dabei an der Höhlenwand ab, während mich immer wieder ein trockenes Würgen
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