Deep Secrets - Berührung
irgendwie zu beschäftigen. Ich habe Ohrensausen, das lauter ist als die Klingeln der Cable Cars von San Francisco. Selbst ohne den Druck, als Weinexpertin auftreten zu müssen, zumindest heute Abend, habe ich bei Marks Bemerkungen zwischen den Zeilen gelesen. Ich absolviere einen einzigen großen Test, bei dem zu scheitern ich mir nicht leisten kann. Ich sehe die Mädchen wieder an, alle in glamourösen Cocktailkleidern, die meinen einfachen schwarzen Rock und meine hellblaue Seidenbluse deplatziert wirken lassen.
»Sie sehen aus, als wollten Sie von der Golden Gate springen.«
Ralph erscheint an meiner Seite, und ich lege die letzte Gabel zurecht, drehe mich um und stelle fest, dass seine schwarze Fliege durch eine rote ersetzt wurde.
»Komplimente helfen immer, meine Nerven zu beruhigen«, sage ich sarkastisch, aber dann bin ich doch von dem Witz und der Ehrlichkeit des Mannes eingenommen. »Ich dachte, Sie bleiben hinter Ihrem Schreibtisch?«
»Wenn der Boss will, dass ich teure Getränke ausschenke und für meine Fahrt nach Hause zahlt, wer bin ich, Einwände zu erheben? Sie werden lernen, diese Events zu lieben. Ein wenig Alkohol, und die Leute öffnen ihre Brieftaschen. Es versetzt sie in die denkbar beste Stimmung.« Er mustert mich eindringlich. »Also. Reden Sie mit mir. Was hat Sie so aufgeregt?«
Ich richte seine Fliege. »Es scheint mir, als hätte ich die Anweisung für den Dresscode für heute Abend übersehen.«
Sein Blick schweift dorthin, wo Mary in angeregtem Gespräch mit Mark steht, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtet. »Sie ist damit beauftragt, die Belegschaft vorzubereiten, seit Rebecca verschwunden ist.«
»Verschwunden ist?«, frage ich alarmiert.
»Mary dachte, Rebeccas Weggang sei ihre Chance, die Aufmerksamkeit des Bosses auf sich zu ziehen, aber das hat sich als vollkommene Fehleinschätzung herausgestellt.« Er zuckt mit den Schultern. »Sie ist knallhart und mag keine Konkurrenz.« Er zeigt auf mich. »Und genau das sind Sie.«
»Wollen Sie damit sagen, sie schwärmt für Mark, oder meinen Sie, sie will die Beste in der Galerie sein?«
»Sie hat ein Auge auf Mark, sein Geld und den Job geworfen. Mark widmet ihr kaum Zeit, während Rebecca der Star der Galerie war und ihn bei Riptide unterstützt hat.«
Enttäuschung schnürt mir die Kehle zu. Es spielt keine Rolle, wie ich meine Aufgaben erfülle. Ich bin lediglich die Aushilfe für einen Sommer. »Wieso unterstützt ihn Rebecca und nicht Mary?« Und warum ich und nicht Mary? »Ich habe den Eindruck, dass sich Mary auf der Verkaufsfläche gut macht.«
»Verkäufer gibt es dutzendfach. Leicht zu ersetzen von einer Schar Praktikanten, die dafür sterben würden, für wenig Geld in diesem Geschäft zu arbeiten. In Marks Augen ist Mary eine von ihnen.« Er legt den Finger ans Kinn und sieht mich prüfend an. »Bei Ihnen dagegen ist es anders. Mark sieht irgendetwas in Ihnen.« Er schürzt die Lippen. »Und Mary weiß das. Sie ist bereit, Sie zu zertreten wie eine Zigarettenkippe.«
Ich reiße die Augen auf. »Mich zu zertreten wie eine Zigarettenkippe?« Ich frage, weil es mich selbst betrifft, aber viel mehr noch für Rebecca.
Er verdreht die Augen. »Hat Ihnen eigentlich schon jemand gesagt, dass Sie heute Abend melodramatisch sind?«
»Nein«, sage ich – aber ich habe auch noch nie das Leben einer anderen Person gelebt. »Hat Ihnen jemand mal gesagt, dass Sie melodramatisch sind?«
Er zwinkert. »Ständig. Und um Sie zu beruhigen, Sie nicht von dem Dresscode für heute Abend zu unterrichten, ist das Schlimmste, was Mary einfallen konnte. Im Grunde ist sie nicht mehr als ein unterwürfiges kleines Schoßtier.«
»Und was bin ich?«, frage ich und denke, dass ein Schoßtier genau nach Marks Geschmack ist. Noch dazu ein unterwürfiges Schoßtier.
»Ein tollkühner, zauberhafter Schmetterling«, bemerkt er und macht eine flatternde Bewegung mit den Fingern.
»Ich bin kein Schmetterling«, sage ich und lache über seine törichte Imitation. »Und seit wann sind Schmetterlinge tollkühn?«
Ein Kellner kommt mit einem Tablett voller Weingläser vorbei, und Ralph schnappt sich zwei Gläser. »Sie sind tollkühn, seit es Sie gibt«, erwidert er und drückt mir ein Glas in die Hand. »Trinken Sie. Sie sind zu angespannt und müssen lockerer werden.«
Meine Haut kribbelt von dem Kompliment, und mein Blick huscht zu Mark. Sofort fühle ich mich eher wie ein Reh im Scheinwerferlicht als wie ein kühner
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