Deer Lake 02 - Engel der Schuld
Joshs Mutter diese Nachricht. Oder vielleicht wollen Sie Megan O'Malley im Krankenhaus anrufen und es ihr erzählen? Es war doch nur die Kaution.« Sie täuschte ein nonchalantes Schulterzucken vor und drehte sich im Stuhl zu ihm um. »Warum sollte Garrett Wright nicht frei auf den Straßen rumlaufen, frei mit seinem Komplizen Verbindung aufnehmen, der vielleicht gestern nacht einen Mord begangen hat? Der, während wir hier reden, Gott weiß was mit Dustin Holloman anstellt.«
Er kam näher, die Hände hatte er in die Taschen seiner zerknitterten schiefergrauen Dockers gesteckt. Irgendwo hatte er seine Jacke abgelegt. Eine helle Seidenkrawatte hing wie ein Streifen moderner Kunst auf seinem abgetragenen Jeanshemd. Der Knoten war lose und der oberste Knopf geöffnet, als könnte er keine Schlinge um seinen Hals ertragen und fühlte sich trotzdem gezwungen, zumindest ansatzweise die Form zu wahren.
»Sie haben die Runde verloren, aber nicht das Spiel«, sagte er und schwang ein Bein auf den schweren Eichentisch, sein Schenkel streifte ihren Handrücken.
Die Berührung war wie ein elektrischer Schlag. Ellen versuchte, ihre unwillkürliche Reaktion zu vertuschen, indem sie die Stellung wechselte, die Hand hob und eine Strähne zurückstrich, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatte. »Es ist kein Spiel.«
»Natürlich ist es das. Sie haben es tausendmal gespielt. Sie kennen die Regeln. Sie kennen die Strategien. Sie haben ein paar Punkte verloren. Das ist nicht das Ende der Welt.«
Ellen starrte ihn wütend an, Zorn brannte sich durch den Nebel der Niederlage. »Ein Mann hat gestern nacht sein Leben verloren. Wie viele Punkte sind das?« fragte sie verbittert und erhob sich. »Was ist es Ihnen wert? Ein Kapitel? Eine Seite? Einen Absatz?«
»Ich habe ihn nicht getötet, und ich kann ihn nicht zurückbringen. Ich kann nur versuchen, es in Zusammenhänge zu stellen. Ist das nicht auch das, was Sie tun wollen? Einen Sinn darin finden, es verstehen?«
»Oh, ich verstehe es. Lassen Sie es mich in einen Zusammenhang bringen, den sie verstehen können. Es ist ein Spiel, schön, Mister Brooks. Dennis Enberg war eine Schachfigur, die nicht mehr gebraucht wurde, und jetzt ist er tot, und sein Nachfolger hat gerade eine Trumpfkarte für seinen verrückten Bastard von Klienten gezogen, und ich habe nichts davon verhindern können.«
Die Wut und der Schmerz brodelten in ihr hoch, kochten über und raubten ihr den Rest ihrer Beherrschung. Sie wandte ihm den Rücken zu und schlug die Hände vors Gesicht, voller Wut auf sich selbst. Sie hatte geglaubt, ihre Emotionen im Griff zu haben, wenn sie schon sonst nichts mehr im Griff hatte. Sie hatte geschworen, diese Schlacht zu schlagen, aber sie hatte die Möglichkeit einer so frühen Niederlage nicht einkalkuliert. Sie dachte an Costellos Drohung, die Verhaftung für nichtig erklären zu lassen, und bei dem Gedanken wurde ihr übel. Wenn sie diese Schlacht hier verlieren konnte, dann konnte sie auch die nächste verlieren. Diese Verletzlichkeit war beängstigend und neu.
Jay beobachtete ihren Kampf mit den eigenen Gefühlen. Ihr Rücken war kerzengerade, ihre Schultern wollten zittern, doch sie konnte es unterdrücken. Trotz all der Zeit, die sie mit ihrer Arbeit in der Justiz zugebracht hatte, war es ihr gelungen, sich einen Sinn für Recht und einen Sinn für Ehre zu bewahren. Sie kämpfte hart und nahm ihre Verluste sehr schwer. Zynismus hatte ihr Gerechtigkeitsempfinden nicht abgestumpft wie bei so vielen anderen. Wie bei ihm. Die Arbeit hatte ihr ihren Platz in der Weltordnung scheinbar nur um so bewußter gemacht.
»Sie hatten nicht gedacht, daß das alles hier passieren könnte, nicht wahr?« murmelte er und trat hinter sie.
»Es sollte nicht hier passieren«, flüsterte sie. »Kinder sollten sicher sein. Dennis Enberg sollte am Leben sein. Garrett Wright und jedem anderen Irren, der dieses Spiel mit ihm spielt, sollte ein für allemal das Handwerk gelegt werden.«
»Haben Sie deshalb die Stadt verlassen?« Er war ihr so nahe, daß seine Nase ihr Parfum wahrnahm. Ihr Nacken war nur einen Atemzug entfernt – verlockend, viel zu verlockend.
Er wollte sie haben, war aber klug genug, diesem verführerischen Bedürfnis nicht nachzugeben. Sie war Teil der Geschichte. Die Geschichte war der Grund seines Hierseins – er wollte sich darin vergraben, sich darin verlieren, vor seinem Schmerz weglaufen, indem er den eines anderen sezierte.
Die Erinnerung brachte den bitteren
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