Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
zwei große trichterförmige Nüstern, zeigte. Der hohe Schweif war stolz aufgerichtet, und der Reiter musste sein gesamtes Geschick aufbringen, um das Pferd zu bändigen. Aus den in einigem Abstand wartenden Mercedes-Limousinen löste sich die Gestalt eines bewaffneten Leibwächters, der auf seinen Anführer zu gerannt kam und die Zügel übernahm. Dann stieg der Reiter vom Pferd und ging einige Schritte auf das Meer zu. Mit einer fast unmerklichen Handbewegung schickte er den Leibwächter zusammen mit dem edlen Tier zurück zu den wartenden Fahrzeugen.
Millers Herz raste vor Aufregung, und er beobachtete die Silhouette des Mannes, die sich unbeweglich vor den auftürmenden Wellen mit dem Rücken zu ihm abzeichnete.
»Du warst lange fort«, sagte der Mann auf Arabisch, ohne sich dabei umzudrehen.
»Aber jetzt bin ich hier. Im Land meiner Ahnen«, entgegnete Miller in der Landessprache.
Der klagende Ruf einer Möwe hallte durch die Dunkelheit und verlor sich irgendwo in der Ferne des unergründlichen Ozeans.
»Das Land deiner Ahnen? Erzähl mir vom Land deiner Ahnen!«, forderte der Ältere den Jüngeren auf.
»Vater«, entgegnete Miller und versuchte zu ergründen, was den Revolutionsführer bewegte. »Du selber hast mich vor langer Zeit hinaus in die Welt geschickt, um die Denkweise der Unwissenden zu studieren. Dein Ziel war es, die Imperialisten zu schwächen. Ich sollte dein Schwert sein und auf den Tag warten, an dem die Jamahiriya, das Zeitalter der Massen, auf deinen Befehl hin beginnt. Und nun erwartest du von mir, dass ich vom Land meiner Ahnen erzähle? Es liegt eine Ewigkeit zurück, dass ich die Wüste gesehen habe. Aber tief in mir spüre ich sie, diese trockene Unschuld, die den Geist reinigt und freimacht von allen materialistischen und Besitz ergreifenden Gedanken.«
Muammar Al Gaddafi, dessen Name nicht weniger als dreiunddreißig Schreibvarianten ermöglichte, drehte sich vom Meer weg und betrachtete jenen Mann, den er angeblich vor über vier Jahrzehnten während einer kurzen Affäre mit einer indischen Diplomatentochter in London gezeugt haben sollte und dem er seitdem nicht ein einziges Mal begegnet war. Dann breitete er seine Hände aus und sprach.
»Die Wüste ist wie der Schoß einer jungen Frau. Sie nimmt dich auf, wenn es ihr passt, und sie lässt dich tief in sie eindringen, wenn du bereit bist, dich für sie aufzugeben«, offenbarte der exzentrische Mann eine Weisheit, deren Bedeutung sich Miller nur teilweise erschloss. Bevor Miller darauf etwas antworten konnte, fuhr Gaddafi fort, und seine pechschwarzen Augen, die wie todbringende Granaten aus dem zerfurchten Gesicht herausstachen, bohrten sich bis tief in seine Seele hinein.
»Wie geht es deiner Mutter?«, wollte Oberst Gaddafi, das eigentliche Staatsoberhaupt Libyens, unvermittelt wissen.
Miller stutzte und war sich angesichts der Einfachheit der gestellten Frage nicht sicher, ob sein leiblicher Vater wirklich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Doch irgendetwas an der bedächtigen und ruhigen Art des Mannes riet ihm dazu, wachsam zu bleiben und nicht die Konfrontation zu suchen.
»Sie ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben. Es war Gebärmutterkrebs, sie muss durch die Hölle gegangen sein.«
»Warst du in ihren letzten Stunden bei ihr?«
»Nein, wir hatten keinen Kontakt mehr, seit ich mit acht Jahren England verlassen habe. Du hattest ein anderes Leben für mich vorgesehen, falls du dich erinnerst, Vater.«
Muammar Al Gaddafi rückte seinen Überwurf aus schwerer Berberwolle über seinem weißen Umhang zurecht und wartete ab, bis der Wind seine wilden, schwarzen Haare aus dem Gesicht geweht hatte.
»Es ist nicht Recht, wenn eine Frau auf diese Weise stirbt. Eine Frau, die gebärt, die stillt und die sich um die biologischen Funktionen ihrer eigenen Brut kümmert, hat einen besseren Tod verdient. Wahrscheinlich warst du es, der ihren Körper verunreinigt hat. Bei deiner Geburt ist ein Teil des Bösen in ihr geblieben.«
Miller musste unwillkürlich schlucken, und unter normalen Umständen hätte er so eine direkte Provokation nicht auf sich sitzen lassen. Doch er zog es vor zu schweigen und abzuwarten, wie sich das Gespräch entwickeln würde.
Gaddafis Gesichtsausdruck glich dem einer schwarzen Mamba, die jeden Moment zubeißen und ihr tödliches Gift in den zum Sterben verurteilten Gegner treiben würde. Im fahlen Schein des heraufziehenden Mondes wechselte seine Gesichtsfarbe von olivgrün nach
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