Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
Miller schließlich zufrieden in seinem Hotelbett eingeschlafen.
Nun stand er hier, auf dem Wahrzeichen der Stadt New York, und bewegte sich langsam auf den knapp drei Meter hohen Sicherheitszaun der Aussichtsplattform zu. Er fokussierte seinen Blick in westliche Richtung, und sein Interesse wurde von einem Kreuzfahrtschiff geweckt, welches in langsamer Fahrt mit Hilfe seiner rückwärts gerichteten Steuerdüsen in den Hudson River hinein manövrierte. Er zog ein Fernglas aus der Innentasche seiner Jacke und versuchte den Namen des Schiffes zu erkennen. Der wie ein Weihnachtsbaum illuminierte Kreuzfahrtriese positionierte sich nun für einen Kurs in südlicher Richtung.
Dann erregte plötzlich etwas anderes Millers Aufmerksamkeit: ein elegantes weißes Fahrzeug, ein älterer Sportwagen, schien wie aus dem Nichts aus dem Freihafenpier zu kommen und sich seinen Weg zur Stadt zu suchen. Schnell wurde das Auto verschlungen von einer endlos langen Kette an Fahrzeugen, die sich entlang des Flusses über die West Street quälten. Die vielen roten Bremslichter erinnerten ihn an die einzelnen Glieder einer Rosenkranzkette. Miller schwenkte das Fernglas über den Flugzeugträger USS Intrepid , der als Museum diente, nahm das Jacob K. Javits Convention Center ins Visier, suchte in den Bezirken Chelsea, Greenwich Village und Battery Park City nach interessanten Gebäuden, hielt am World Financial Center mit äußerlich nicht anzumerkender Genugtuung einen kurzen Moment inne, um dann in weiter Ferne die bereits vom Grau des Wintersturms umwehte Freiheitsstatue ausfindig zu machen, die auf diese Entfernung nicht mehr als ein Punkt war.
»Sir, wir schließen gleich die Plattform«, sprach ihn ein älterer Herr an, der hier oben seinen Dienst als uniformierter Aufseher versah. »Ich darf Sie bitten, gleich zu gehen. Wird zu windig hier und ohnehin trübe, da machen wir aus Sicherheitsgründen dicht. Bei solchen Gelegenheiten ist schon mancher seinen trüben Gedanken erlegen und über den Zaun geklettert. Sorry!«
Steve Miller war mit der Geschichte des zu Beginn der dreißiger Jahre durch Präsident Hoover eingeweihten Empire State Building bestens vertraut. Das mehr als sechstausend Büros umfassende Gebäude war seinerzeit in der Rekordzeit von vierzehn Monaten errichtet worden. Mehr als fünfzigtausend Tonnen Stahl waren von fast dreitausend und fünfhundert Arbeitern verbaut worden, Woche für Woche war der beeindruckende Wolkenkratzer viereinhalb Stockwerke in die Höhe gewachsen und überragte schließlich das nicht weniger imposante Chrysler Building. Einen gebührenden Anteil an der tollkühnen Konstruktion hatten die Nieter, viele von ihnen vom Stamm der Mohawk Indianer, welche in Schwindel erregenden Höhen glühende Metallteile vierzig Meter weit durch die Luft geschleudert hatten, wo sie dann von ihren Kollegen mit trichterförmigen Handschuhen aufgefangen und in die Träger geschlagen worden waren.
»Genau achtunddreißig!«, sagte Miller zu dem Aufseher.
»Achtundreißig?«
»So viele sind seit dem Bau dieses Gebäudes freiwillig in die Tiefe gesprungen. Weitere vierzehn Arbeiter verunglückten während der Bauarbeiten. Und vierzehn weitere Menschen verloren ihr Leben bei dem Flugzeugunglück von 1945, als sich ein unbewaffneter B-25 Bomber im Landeanflug auf Newark bei dichtem Nebel in das neunundsiebzigste Stockwerk bohrte«, zählte Miller die aus seiner Sicht interessantesten Details des Hochhauses auf.
Der alte Wärter musterte Miller interessiert mit seinen kleinen Augen hinter der dicken altmodischen Hornbrille und setzte ein freundliches Lächeln auf.
»Sie kennen sich aber gut aus, junger Mann. Die meisten Besucher kommen nur kurz hier hoch und interessieren sich kaum für die Geschichte des Gebäudes. Rauf, schnell ein Foto schießen, und wieder runter. Die Japaner schaffen das in Rekordzeit. Danach ist dann wieder Shopping angesagt. Wer hat denn heute noch wirkliche Achtung vor den Leistungen der Männer, die das Empire State aufgebaut haben?« Er machte eine kurze Pause und schaute auf seine Uhr. »Als das World Trade Center gebaut wurde, dieses hässliche und seelenlose Glasmonstrum, haben wir das hier gespürt. Die Leute fanden es interessanter, vom so genannten Dach der Welt zu gucken, wobei man dort ja noch nicht einmal an der freien Luft war, sondern sich hinter der Glasscheibe in einer klimatisierten Etage die Nase platt drückte. Das Alte gerät heute viel zu schnell in Vergessenheit; wen
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