Defekt
gebracht, sie im Fahrzeug getötet - sofern es ein Wagen war, in dem er
hinten genug Platz hatte - und die Leiche dann abgelegt“, sagt Scarpetta und
klickt weitere Fotos an. Bei einer Abbildung, die sie bereits studiert hat,
hält sie inne.
Diesmal sieht sie das Foto, das die Überreste des
Gehirns der Frau auf einem Schneidebrett zeigt, mit anderen Augen. Eigentlich
sollte die harte, fasrige Membran, die Dura mater, die die Innenseite des
Schädels überzieht, cremeweiß sein. Doch auf dem Foto hat sie eine
gelborangefarbene Tönung. Scarpetta denkt an das Foto auf dem Nachttisch: Die
beiden Schwestern, Ev und Kristin, mit Wanderstöcken in der Hand und in die Sonne
blinzelnd. Sie erinnert sich, dass eine der beiden Frauen ein wenig gelbsüchtig
gewirkt hat, und klickt zurück zum Autopsiebericht, um zu lesen, was da über
die Sklera, das Weiße im Auge, der Toten steht: ohne Befund.
Scarpetta sieht das rohe Gemüse und die neunzehn
Beutel mit Karotten im Kühlschrank von Ev und Kristin vor sich. Dann fällt ihr
die weiße Leinenhose ein, die wie eine Windel um die Leiche gewickelt war, ein
Kleidungsstück, wie man es nur in einem warmen Klima trägt.
Benton mustert sie fragend.
„Xanthochromie der Haut“, erklärt Scarpetta. „Eine
gelbliche Verfärbung, die nicht die Sklera befällt. Vermutlich ausgelöst durch
eine Überdosis Karotin. Möglicherweise wissen wir jetzt, wer sie ist.“
55
Dr. Bronson sitzt in seinem Büro und schiebt einen
Objektträger unter seinem Verbundmikroskop hin und her, als Marino an die
offene Tür klopft.
Dr. Bronson ist ein kluger und fähiger Mann und
wirkt in seinem weißen Labormantel stets wie aus dem Ei gepellt. Er war einmal
ein guter Chefpathologe, schafft es jedoch nicht, Abschied von der
Vergangenheit zu nehmen. Denn er ist ein eingefleischter Gegner von
Veränderungen und beurteilt auch seine Mitmenschen nach den Maßstäben früherer
Zeiten. Marino bezweifelt, dass Dr. Bronson in der Lebensgeschichte eines
Menschen herumschnüffeln oder ihn den sonstigen Sicherheitsüberprüfungen
unterziehen würde, die in der heutigen Welt inzwischen unverzichtbar geworden
sind.
Als er wieder, diesmal lauter, klopft, blickt Dr. Bronson
von seinem Mikroskop auf. „Kommen Sie doch bitte herein“, sagt er lächelnd.
„Welchem Umstand verdanke ich dieses Vergnügen?“
Er ist ein Kavalier alter Schule, stets höflich und
charmant, und hat einen kahlen Schädel und verträumte graue Augen. In dem
Aschenbecher auf seinem mustergültig aufgeräumten Schreibtisch liegt eine kalte
Pfeife aus Bruyereholz, und wie immer schwebt leichter Tabakduft im Raum.
„Wenigstens darf man hier im sonnigen Süden noch in
geschlossenen Räumen rauchen“, sagt Marino und zieht sich einen Stuhl heran.
„Tja, eigentlich sollte ich es ja aufgeben“,
erwidert Dr. Bronson. „Meine Frau liegt mir ständig damit in den Ohren, dass
ich mir irgendwann noch Kehlkopf- oder Zungenkrebs holen werde. Ich antworte
ihr dann immer, ich würde in diesem Fall wenigstens klaglos abtreten.“
Als Marino einfällt, dass er vergessen hat, die Tür
zu schließen, steht er auf und holt es nach.
„Denn wenn sie mir die Zunge oder die Stimmbänder
rausschneiden, kann ich mich ja nicht mehr beklagen“, fügt Dr. Bronson hinzu,
als hätte Marino den Witz nicht verstanden.
„Ich brauche einige Dinge von Ihnen“, beginnt
Marino. „Erstens würden wir gerne eine Probe von Johnny Swifts DNA abgleichen
lassen. Dr. Scarpetta sagt, in seiner Fallakte müssten einige DNA-Karten
liegen.“
„Sie sollte meine Stelle übernehmen. Ich hätte
nichts dagegen, wenn sie meine Nachfolgerin würde“, sagt Dr. Bronson, und sein
Tonfall zeigt Marino, dass er vermutlich weiß, was seine Mitmenschen von ihm
halten.
Alle wollen, dass er endlich in den Ruhestand geht,
und zwar bereits seit einigen Jahren.
„Ich habe dieses Institut aufgebaut“, fährt er fort.
„Und ich kann es nicht zulassen, dass irgendein x-beliebiger Pfuscher hier
hereinspaziert und mein Lebenswerk zerstört. Das wäre unfair gegenüber der
Bevölkerung und meinen Mitarbeitern.“ Er greift zum Telefon und drückt auf
einen Knopf. „Polly? Könnten Sie bitte die Akte Johnny Swift heraussuchen und
sie mir bringen. Wir brauchen sämtliche Unterlagen.“ Er lauscht. „Weil Pete
eine DNA-Karte für irgendeine Laboruntersuchung benötigt.“
Nachdem er aufgelegt hat, nimmt er die Brille ab und
poliert sie mit einem Taschentuch.
„Kann ich also davon
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