Defekt
ein
Telefon, und die Kameras nehmen sie aus unterschiedlichen Winkeln auf, während
sie einige Knöpfe drückt. „Hier spricht Dr. Seif“, sagt sie. „Sie sind auf Sendung.“
„Also, was halten Sie davon?“, fährt sie fort.
„Finden Sie nicht auch, dass das Landwirtschaftsministerium unsere Bürgerrechte
mit Füßen tritt?“
Das ist eine Fangfrage, und Dr. Seif kann es kaum
erwarten, den Dummkopf auflaufen zu lassen, der gerade angerufen hat. Mit einem
Blick in den Monitor vergewissert sie sich, dass Beleuchtung und
Aufnahmewinkel ihrem Teint schmeicheln.
„Stimmt genau“, klingt die Stimme des Dummkopfes aus
dem Lautsprecher.
„Wie war noch einmal Ihr Name? Sandy?“
„Ja, ich ...“
„Hinschauen, nicht umhauen, richtig Sandy?“
„Ah ... was ...?“
„Uncle Sam mit einer Axt? Das ist doch das Bild, das
die Öffentlichkeit von dieser Aktion hat.“
„Wir werden über den Tisch gezogen. Es ist eine
Verschwörung.“
„Ist das Ihre Einstellung dazu? Der gute alte Uncle
Sam hackt alle Ihre Bäume ab.“
Die Kameramänner und der Produzent grinsen.
„Die Schweinekerle waren ohne Erlaubnis in meinem
Garten, und jetzt wollen sie meine Bäume fällen ...“
„Und wo wohnen Sie, Sandy?“
„In
Cooper City. Ich kann den Leuten keinen
Vorwurf machen, die auf die Kontrolleure schießen oder ihre Hunde auf sie
hetzen ...“
„Die Sache hat nur einen Haken, Sandy“, verkündet
Dr. Seif in bedeutungsschwangerem Ton, und die Kameras zeigen ihr Gesicht in
Großaufnahme. „Nämlich, dass Sie die Augen vor den Tatsachen verschließen.
Waren Sie je bei einer Protestversammlung? Haben Sie Ihrem
Kongressabgeordneten geschrieben? Haben Sie sich die Mühe gemacht, klare
Fragen zu stellen und die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Vorgehensweise
des Landwirtschaftsministeriums vielleicht vernünftige Gründe hat?“
Es hat bei ihr Methode, dass sie stets die
entgegengesetzte Position des Anrufers vertritt. Dafür ist sie berüchtigt.
„Tja, dieses Gelaber über die Hurrikans ist piiep“, ereifert sich der Dummkopf. Dr. Seif hat fest damit
gerechnet, dass bald die ersten Kraftausdrücke fallen werden.
„Es ist nicht piiep“, äfft sie
ihn nach. „Da ist überhaupt nichts piiep daran.
Tatsache ist vielmehr“, sie wendet sich zur Kamera, „dass wir im letzten Herbst
vier schwere Hurrikans hatten und dass der Zitrusbrand eine Bakterieninfektion
ist, die vom Wind verbreitet wird. Gleich geht es weiter mit der Frage, wie
gefährlich diese gefürchtete Seuche eigentlich ist, und wir werden mit einem
sehr interessanten Gast darüber sprechen. Also bleiben Sie dran.“
„Wir sind off“, verkündet
ein Kameramann.
Dr. Seif greift nach ihrer Wasserflasche, trinkt mit
dem Strohhalm, um ihren Lippenstift nicht zu verschmieren, und wartet darauf,
dass die Maskenbildnerin ihr Stirn und Nase pudert. Sie ist ungeduldig, denn es
dauert ihr immer zu lange, bis die Maskenbildnerin erscheint und sie endlich
fertig ist.
„Okay, es reicht.“ Dr. Seif hebt die Hand, um die
Maskenbildnerin zu verscheuchen. „Das klappt ja prima“, meint sie zu dem
Produzenten.
„Ich denke, im nächsten Teil sollten wir uns mehr
der psychologischen Seite zuwenden. Deshalb sehen sich die Leute Ihre Sendung
schließlich an, Marilyn. Sie interessieren sich nicht für Politik, sondern für
ihre Probleme mit ihren Freundinnen, Chefs oder Eltern.“
„Behalten Sie Ihre guten Ratschläge für sich.“
„Ich wollte doch nur ...“
„Die Mischung aus Aktualität und Emotionalität ist
es doch, die meine Sendung so einzigartig macht.“
„Das stimmt.“
„Drei, zwei, eins.“
„Da sind wir wieder.“ Dr. Seif lächelt in die
Kamera.
57
Marino steht vor der Akademie unter einer Palme und
beobachtet, wie Reba zu ihrem zivilen Crown Victoria geht. Er bemerkt ihren
entschlossenen Schritt und überlegt, ob er wohl echt ist oder ob sie nur
Theater spielt. Außerdem fragt er sich, ob sie gesehen hat, dass er rauchend
unter der Palme steht.
Sie hat ihn als Arschloch beschimpft. Das passiert
ihm zwar öfter, aber ihr hätte er so etwas nicht zugetraut.
Reba schließt ihr Auto auf, zögert aber mit dem
Einsteigen. Obwohl sie nicht in seine Richtung schaut, hat er das Gefühl, dass
sie ihn entdeckt hat, wie er, sein Treo in der Hand, den Knopf im Ohr und mit
brennender Zigarette, unter der Palme steht. Sie hätte das nicht sagen sollen.
Sie hatte kein Recht, über Scarpetta zu sprechen. Das Effexor hat
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