Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
das Essen riechen, als er unter seiner giftfreien Decke und auf seiner
giftfreien Matratze auf dem Bett liegt und an seine Post denkt. Er muss seine
Post kriegen! Noch nie ist er so wütend und aufgebracht gewesen. Er hört
Schritte, und dann erscheint Onkel Remus' fettes schwarzes Gesicht hinter dem
Maschendraht hoch oben in der Tür.
    Das ist Basils Spitzname für ihn. Onkel Remus. Und
weil er ihn Onkel Remus nennt, bekommt er seine Post nicht mehr. Jetzt schon
seit einem Monat.
    „Ich will meine Post“, sagt er zu Onkel Remus'
Gesicht hinter dem Maschendraht. „Laut Verfassung habe ich ein Recht darauf.“
    „Wie kommst du auf den Gedanken, jemand könnte einem
jämmerlichen Mistkerl wie dir schreiben wollen?“, fragt das Gesicht jenseits
des Maschendrahts.
    Basil kann nicht viel mehr erkennen als den dunklen
Umriss des Gesichts und die feuchten Augen, die ihn beobachten. Er hat schon
genaue Pläne für diese Augen und weiß, wie man sie ausschaltet, damit sie ihn
nicht mehr anglotzen. Damit sie nichts sehen, was sie nicht sehen sollen. Damit
sie ihn nicht wild und wahnwitzig anstarren und er das Gefühl bekommt, zu
ersticken. Allerdings kann er hier drin in seiner Selbstmörderzelle nicht viel
ausrichten. Wut und Angst knotet ihm den Magen zusammen wie ein Geschirrtuch.
    „Ich weiß genau, dass ich Post bekommen habe“, sagt
Basil. „Ich will sie haben.“
    Das Gesicht verschwindet, und die Schublade öffnet
sich. Nachdem Basil aufgestanden ist und sein Tablett geholt hat, fällt die
Schublade unten an der dicken grauen Stahltür mit einem lauten Krachen wieder
zu.
    „Hoffentlich hat dir niemand ins Essen gespuckt“,
meint Onkel Remus durch den Maschendraht. „Guten Appetit.“
     
    Die breiten Holzdielen fühlen sich unter Lucys
nackten Füßen kalt an, als sie ins Schlafzimmer zurückkehrt. Stevie schläft
unter der Bettdecke. Lucy stellt die beiden Kaffeetassen auf den Nachttisch und
tastet unter der Matratze nach dem Magazin der Pistole. Auch wenn sie sich
gestern Nacht leichtsinnig verhalten hat, wäre sie doch nicht so dumm, eine
geladene Pistole herumliegen zu lassen, solange eine Fremde im Haus ist.
    „Stevie?“, ruft sie. „Los, wach auf! Komm schon!“
    Stevie schlägt die Augen auf und starrt Lucy an, die
neben dem Bett steht und das Magazin in die Pistole schiebt.
    „Was für ein Anblick“, murmelt sie gähnend.
    „Ich muss los.“ Lucy reicht ihr eine Kaffeetasse.
    Stevie starrt die Pistole an. „Offenbar vertraust du
mir. Sonst hättest du das Ding nicht die ganze Nacht hier auf dem Tisch liegen
gelassen.“
    „Warum sollte ich dir nicht vertrauen?“
    „Ich dachte immer, ihr Anwälte müsstet ständig Angst
vor den Leuten haben, denen ihr das Leben ruiniert habt“, erwidert Stevie.
„Heutzutage weiß man nie ganz genau, mit wem man es zu tun hat.“
    Lucy hat ihr erzählt, sie sei Anwältin und lebe in
Boston. Allerdings nimmt sie an, dass Stevie ihr nicht glaubt.
    „Woher wusstest du, dass ich meinen Kaffee am
liebsten schwarz trinke?“
    „Ich wusste es nicht“, antwortet Lucy. „Aber es sind
weder Milch noch Sahne im Haus. Ich muss jetzt wirklich los.“
    „Ich finde, du solltest bleiben. Ich werde dafür
sorgen, dass du es nicht bereust. Wir waren doch noch nicht fertig, oder? Du
hast mich so unter Alkohol und Gras gesetzt, dass ich es nicht mehr geschafft
habe, dich auszuziehen. So was ist mir noch nie passiert.“
    „Anscheinend hast du gestern einiges zum ersten Mal
erlebt.“
    „Du hast dich nicht ausgezogen“, beharrt Stevie und
trinkt ihren Kaffee. „Das war wirklich eine Premiere.“
    „Du warst nicht mehr ganz klar.“
    „Ich war noch klar genug, um es zu versuchen. Und es
ist nie zu spät für einen zweiten Anlauf.“
    Sie setzt sich auf und kuschelt sich in die Kissen.
Als ihr die Decke hinunterrutscht, verhärten sich ihre Brustwarzen in der
kalten Luft. Stevie weiß genau, was sie zu bieten hat und wie man es einsetzt.
Lucy nimmt ihr nicht ab, dass ihr irgendetwas an den Ereignissen von letzter
Nacht fremd war.
    „Mein Gott, hab ich Kopfschmerzen“, stöhnt Stevie
und sieht Lucy dabei zu, wie diese sie betrachtet. „Ich dachte, du hättest
gesagt, von einem guten Tequila kriegt man keine Kopfschmerzen.“
    „Du hast ihn mit Wodka gemischt.“
    Stevie lässt sich in die Kissen sinken, worauf ihr
die Decke bis zu den Hüften hinuntergleitet. Wie sie sich so das dunkelblonde
Haar aus den Augen streicht, ist sie im frühen Morgenlicht wirklich

Weitere Kostenlose Bücher