Defekt
Gästehaus.“
„Woher könnte er die Nummer haben?“
„Keine Ahnung, wenn Sie mich so direkt fragen.
Natürlich kennen meine Kollegen, andere Menschen, mit denen ich beruflich zu
tun habe, und auch meine Patienten die Nummer.“
„Könnte dieser Mann einer Ihrer Patienten sein?“
„Ich habe die Stimme nicht erkannt, und ich habe
auch niemanden in Behandlung, bei dem ich mir so etwas vorstellen könnte. Da
steckt sicher etwas anderes dahinter.“ Ihre Stimme wird drängend. „Meiner
Ansicht nach habe ich ein Recht darauf, etwas über die Hintergründe zu
erfahren. Sie haben mir auch noch nicht gesagt, ob es die alte Frau, die sich
wegen ihrer verseuchten Zitrusbäume mit einem Schrotgewehr erschossen hat,
wirklich gibt.“
„Ganz so war es nicht“, entgegnet Scarpetta. „Auch
wenn wir vor kurzem einen Fall hereinbekommen haben, der sich in einigen
Punkten mit Ihrer Beschreibung deckt: Eine alte Frau, deren Bäume zur
Vernichtung gekennzeichnet waren. Tod durch einen Schuss aus einem
Schrotgewehr.“
„Mein Gott. Ist es vergangenen Dienstag nach
achtzehn Uhr passiert?“
„Vermutlich schon davor“, antwortet Scarpetta und
glaubt zu wissen, warum Dr. Seif das fragt.
„Da bin ich aber erleichtert. Das heißt doch, dass
sie schon tot gewesen sein muss, als der Gärtner, dieser Hog, sich bei mir
gemeldet hat. Er hat mich zwischen fünf und zehn nach sechs angerufen und mich
gebeten, bei meiner Show mitwirken zu dürfen. Dann hat er mir die Geschichte
von der alten Frau und ihrer Selbstmorddrohung erzählt. Offenbar hatte sie es
zu diesem Zeitpunkt bereits getan. Die Vorstellung, dass ihr Tod mit seinem
Wunsch, in meiner Show aufzutreten, zusammenhängen könnte, wäre entsetzlich
für mich.“
Benton wirft Scarpetta einen Blick zu, der Was für eine narzisstische, gefühllose
Zicke besagen soll. „Im Moment stellt
sich uns eine Reihe anderer Fragen, Dr. Seif, und es wäre sehr hilfreich für
uns, wenn Sie uns mehr Informationen über David Luck geben könnten. Sie haben
ihm Ritalin verschrieben.“
„Soll das heißen, dass ihm auch etwas Schreckliches
zugestoßen ist? Liegen neue Erkenntnisse vor?“
„Wir haben Grund zu großer Sorge“, wiederholt
Scarpetta ihre Worte aus einem anderen Gespräch mit Dr. Seif. „Und zwar, was
ihn, seinen Bruder und die beiden Schwestern betrifft, bei denen die Jungen
gelebt haben. Wie lange war David bei Ihnen in Behandlung?“
„Seit dem vergangenen Sommer. Ich glaube, er war im
Juli das erste Mal bei mir. Es könnte auch Ende Juni gewesen sein. Beide Eltern
waren ja bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der Junge schlug über die
Stränge, und seine schulischen Leistungen sackten ab. Er und sein Bruder
wurden zu Hause unterrichtet.“
„Wie oft kam er zu Ihnen?“, erkundigt sich Benton.
„Normalerweise einmal pro Woche.“
„Wer hat ihn zu den Terminen begleitet?“
„Manchmal Kristin, manchmal Ev. Hin und wieder
erschienen sie auch zu zweit, und gelegentlich setzte ich mich mit allen
dreien zusammen.“
„Wer hat David an Sie überwiesen?“, fragt Scarpetta.
„Wie wurde er Ihr Patient?“
„Nun, das war ziemlich rührend. Kristin rief bei mir
in der Sendung hat. Offenbar ist sie eine begeisterte Zuhörerin und hoffte,
sich auf diese Weise mit mir in Verbindung setzen zu können. Also meldete sie
sich während meiner Radiosendung und sagte, sie betreue einen kleinen
Südafrikaner, der vor kurzem beide Eltern verloren habe. Er brauche Hilfe und
so weiter und so fort. Die Geschichte war wirklich herzzerreißend, und ich
erklärte mich mit einem Termin einverstanden. Sie würden sich über die vielen
Zuschauerzuschriften wundern, die ich seitdem erhalte. Immer noch bekomme ich
Briefe von Leuten, die wissen wollen, wie es dem kleinen südafrikanischen
Waisenjungen geht.“
„Haben Sie eine Tonbandaufzeichnung von der
fraglichen Sendung?“, fragt Benton. „Wir zeichnen alles auf.“
„Wie lange würde es dauern, mir dieses Tonband zu besorgen?
Außerdem brauchte ich auch eine Aufzeichnung Ihrer heutigen Fernsehshow. Ich
fürchte, wir sind hier eingeschneit. Obwohl wir tun, was wir können, sind
unsere Möglichkeiten begrenzt.“
„Ja, ich habe gehört, Sie hätten da oben ein
Unwetter gehabt. Hoffentlich kriegen Sie keinen Stromausfall“, erwidert Dr.
Seif, als hätten sie die letzte halbe Stunde nur freundlich miteinander geplaudert.
„Ich könnte sofort meinen Produzenten anrufen, der Ihnen das Material mailen
wird. Sicher wird er
Weitere Kostenlose Bücher