Defekt
Nähe. Dann, Mitte der Achtziger, hat der Zitrusbrand ihn ruiniert.
Alle Bäume wurden vernichtet, und mein Vater musste dem Großteil seiner
Angestellten kündigen. Beinahe wäre es zu einer Insolvenz gekommen. Mom hat
darunter sehr gelitten. Aber er hat sich wieder erholt, und der Erfolg kam
zurück, was Mom ebenfalls schwer zu schaffen machte. Ich weiß nicht, ob es
richtig ist, mit Ihnen darüber zu sprechen.“
„Fred, ich versuche doch nur zu helfen, und das kann
ich nicht, wenn sie mir nicht vertrauen.“
„Damals war Helen zwölf“, beginnt er. „Ich war der
Ältere und im ersten Semester auf dem College. Helen ist für etwa sechs Monate
lang zum Bruder meines Vaters und dessen Frau gezogen.“
„Warum?“
„Ein Jammer, so ein hübsches, begabtes Mädchen, das
schon mit sechzehn in Harvard angenommen wurde. Aber sie hat nicht einmal ein
Semester durchgehalten. Sie erlitt einen Zusammenbruch und kam nach Hause
zurück.“
„Wann?“
„Das muss im Herbst vor ihrem und Moms Verschwinden
gewesen sein. Sie war nur bis November in Harvard.“
„Also acht Monate ehe sie und Ihre Mutter vermisst
wurden?“
„Ja. Helen hat bei der Verteilung der Gene wirklich
Pech gehabt.“
Er hält inne, als überlege er, ob er fortfahren
soll, und entscheidet sich dann dafür. „Also gut. Dass meine Mutter nicht
unbedingt der Inbegriff von Ausgeglichenheit war, haben Sie inzwischen sicher
selbst bemerkt. Ihr Weihnachtswahn zum Beispiel. Seit ich mich erinnern kann,
ist sie immer wieder durchgedreht. Aber als Helen zwölf war, wurde es wirklich
schlimm mit Mom, und sie verhielt sich immer unberechenbarer.“
„War sie in psychiatrischer Behandlung?“
„Sie ging zur teuersten Prominentenärztin. Die Frau
hieß Dr. Seif und wohnte damals in Palm Beach. Sie empfahl die Einweisung in
eine Klinik. Das ist der wirkliche Grund, warum Helen bei meiner Tante und
meinem Onkel lebte. Mom war in der Klinik, und Dad war zu beschäftigt und hatte
keine Lust, ganz allein eine Zwölfjährige zu versorgen. Dann kam Mom zurück,
und bald waren weder sie noch Helen, tja, Sie wissen schon, normal eben.“
„Ging Helen zum Psychiater?“
„Damals noch nicht“, antwortet Fred. „Sie war
einfach nur ein bisschen komisch, nicht verrückt wie Mom, sondern eigenartig.
In der Schule brachte sie ausgezeichnete Leistungen. Doch in Harvard ist sie
völlig durchgedreht. Sie wurde in der Eingangshalle eines Beerdigungsinstituts
aufgegriffen und wusste nicht mehr, wer sie war. Und um das Maß voll zu machen,
starb Dad plötzlich. Daraufhin ging es mit Mom immer mehr bergab. An den
Wochenenden trieb sie sich herum, ohne mir Bescheid zu sagen. Es war ein
Albtraum.“
„Also erfuhr die Polizei, dass sie psychische
Probleme hatte und dazu neigte, einfach zu verschwinden, und glaubte deshalb,
sie hätte sich mit Helen aus dem Staub gemacht?“
„Selbst ich hatte diesen Verdacht, und ich frage
mich bis heute, ob meine Mutter und meine Schwester sich vielleicht nicht doch
irgendwo verstecken.“
„Wie ist Ihr Vater gestorben?“
„Er ist in seiner Bibliothek, er sammelte seltene
Bücher, von einer Leiter gefallen. Das Haus in Palm Springs hatte zwei
Stockwerke und überall Marmorfliesen und Steinböden.“
„War er allein zu Hause, als es geschah?“
„Helen hat ihn auf dem Treppenabsatz im Parterre
gefunden.“
„Und außer ihr war niemand im Haus?“
„Vielleicht einer ihrer Freunde. Aber ich weiß
nicht, wer es gewesen sein könnte.“
„Wann war das?“
„Ein paar Monate vor ihrem und Moms Verschwinden. Damals
war Helen siebzehn und ziemlich frühreif. Tja, um ehrlich zu sein, hat sie es
nach ihrer Rückkehr aus Harvard recht wild getrieben. Ich hatte immer den
Verdacht, dass das eine Trotzreaktion auf meinen Dad, meinen Onkel und meine
übrige Verwandtschaft väterlicherseits war. Die sind nämlich streng religiös;
ständig heißt es nur Jesus hier, Jesus dort. Außerdem engagieren sie sich sehr
in ihren Kirchengemeinden, dem Presbyterium und der Sonntagsschule und versuchen
dauernd, ihre Mitmenschen zu bekehren.“
„Haben Sie je einen von Helens Freunden kennen
gelernt?“
„Nein, sie war viel unterwegs und blieb oft tagelang
weg. Immer wieder gab es Ärger. Ich bin so selten wie möglich nach Hause
gekommen. Moms Weihnachtswahn ist übrigens ein schlechter Scherz. Bei uns zu
Hause gab es nie ein schönes Weihnachtsfest. Es war eher eine
Horrorveranstaltung.“
Er steht auf. „Stört es Sie, wenn ich mir ein
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