Defekt
den
Reißverschluss ihrer Skijacke zu und steckt die Pistole und zwei Ersatzmagazine
ein.
Nachdem sie die Tür der Hütte abgeschlossen hat,
läuft sie die verschneiten Stufen zur Straße hinunter. Sie denkt an Stevie und
ihr merkwürdiges Verhalten und bekommt ein schlechtes Gewissen. Dann erinnert
sie sich an Johnny und fühlt sich wieder schuldig. Sie lässt den Tag Revue
passieren, als er mit ihr in San Francisco zum Abendessen gegangen ist und ihr
versichert hat, alles würde gut werden.
Du wirst es schaffen, versprach er.
Ich kann so nicht leben, erwiderte sie.
Im Mecca in der Market Street war Frauenabend, und
im Restaurant wimmelte es von attraktiven Frauen, die einen glücklichen und
selbstbewussten Eindruck machten und mit sich selbst im Reinen zu sein
schienen. Lucy hatte das Gefühl, dass alle sie anstarrten, und das störte sie
wie noch nie zuvor.
Ich will sofort etwas dagegen unternehmen, sagte sie. Schau mich doch nur an.
Lucy, du siehst spitze aus.
So fett war ich zuletzt mit zehn.
Du hast aufgehört, dein
Medikament zu nehmen, und ... Mir wird davon übel, und ich bin ständig müde.
Ich werde nicht zulassen, dass du etwas überstürzt. Du musst mir vertrauen.
Er erwiderte im Kerzenschein ihren Blick. Nie wird
Lucy sein Gesicht vergessen oder den Ausdruck, mit dem er sie an diesem Abend
gemustert hat. Johnny war attraktiv, mit fein geschnittenen Zügen und einer
ungewöhnlichen Augenfarbe, die an die eines Tigers erinnerte. Nichts konnte sie
ihm verheimlichen. Er wusste alles, was es zu wissen gab, und zwar auf jede
vorstellbare Weise.
Einsamkeit und Schuldgefühle verfolgen sie, als sie
auf dem schneebedeckten Bürgersteig entlang der Cape Cod Bay nach Westen geht.
Sie ist weggelaufen. Der Moment, als sie von seinem Tod erfuhr, ist ihr noch
deutlich im Gedächtnis. Sie hat es auf eine Art und Weise erfahren, die man
seinem ärgsten Feind nicht wünscht: aus dem Radio.
Ein prominenter Arzt wurde in
einer Wohnung in Hollywood tot aufgefunden. Aus gut informierten Kreisen
verlautet, dass es sich vermutlich um Selbstmord ...
Lucy hatte niemanden, an den sie sich wenden konnte.
Eigentlich hätte sie weder Johnny noch seinen Bruder Laurel oder einen ihrer
Freunde kennen dürfen. Wen also hätte sie fragen sollen?
Als ihr Mobiltelefon vibriert, steckt sie den Knopf
ins Ohr und nimmt den Anruf an.
„Wo bist du?“, erkundigt sich Benton.
„Ich gehe in Provincetown durch einen Schneesturm.
Na, Schneesturm ist ein bisschen übertrieben. Er lässt schon nach.“ Sie fühlt
sich benommen und ein wenig verkatert.
„Gibt es interessante Neuigkeiten?“
Sie weiß nicht, was sie von der vergangenen Nacht
halten soll, und fühlt sich ein wenig beschämt.
Doch sie erwidert: „Nur, dass er bei seinem letzten
Besuch eine Woche vor seinem Tod nicht allein war. Offenbar war das unmittelbar
nach seiner Operation. Anschließend ist er nach Florida geflogen.“
„Mit Laurel?“
„Nein.“
„Wie ist er allein klargekommen?“
„Wie ich schon sagte, war er ja offenbar nicht
allein.“
„Von wem hast du das?“
„Von einer Barkeeperin. Sieht aus, als hätte er
jemanden kennen gelernt.“
„Wissen wir, wen?“
„Eine Frau. Anscheinend noch ziemlich jung.“
„Name?“
„Jan. Den Familiennamen kenne ich nicht. Johnny war
ziemlich schlecht drauf wegen der Operation, die, wie du ja weißt, anscheinend
schiefgelaufen ist. Menschen tun so einiges, wenn sie Angst haben oder sich
nicht wohl in ihrer Haut fühlen.“
„Und wie geht es dir?“
„Prima“, lügt sie.
Sie war ein Feigling. Sie war eine Egoistin.
„Du klingst aber ganz und gar nicht so“, sagt
Benton. „Du bist nicht schuld an dem, was Johnny zugestoßen ist.“
„Ich bin abgehauen und habe nichts unternommen, verdammt.“
„Warum kommst du nicht eine Weile zu uns? Kay will
eine Woche bleiben. Wir würden uns freuen. Dann können wir beide unter vier
Augen miteinander reden“, schlägt Benton, der Psychologe, vor.
„Ich will sie nicht sehen. Das musst du ihr
irgendwie klar machen.“
„Lucy, du darfst nicht weiter so mit ihr umgehen.“
„Ich will niemandem wehtun“, antwortet sie und muss
wieder an Stevie denken.
„Dann sag ihr die Wahrheit. So einfach ist das.“
„Du hast mich angerufen“, wechselt sie abrupt das
Thema.
„Du musst so schnell wie möglich etwas für mich
erledigen“, erwidert er. „Ich bin an einem abhörsicheren Telefon.“
„Ich auch, solange sich niemand mit einem
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