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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Seitenfenster
wegzuwischen. Im nächsten Moment drückt sich ein von einer schwarzen Kapuze
umrahmtes Gesicht an die Scheibe. Lucy bricht den Anruf ab und lässt das
Telefon auf den Sitz fallen.
    Nachdem sie Stevie eine Weile angestarrt hat, öffnet
sie das Fenster. Ihr Verstand arbeitet fieberhaft. Es gefällt ihr gar nicht,
dass sie bis hierher verfolgt worden ist. Und das Schlimmste daran ist, dass
sie es überhaupt nicht bemerkt hat.
    „Was soll das?“, fragt Lucy.
    „Ich wollte dir nur etwas sagen.“
    Es ist schwierig, Stevies Miene etwas zu entnehmen.
Vielleicht kämpft sie mit den Tränen und ist gekränkt oder aufgebracht.
Möglicherweise liegt es auch nur an dem eisigen Wind, der von der Bucht
herüberweht, dass ihre Augen so leuchten.
    „Du bist der beeindruckendste Mensch, dem ich je
begegnet bin“, sagt Stevie. „Ich glaube, du bist meine Heldin. Meine neue
Heldin.“
    Lucy ist nicht sicher, ob Stevie sich über sie
lustig machen will. Sie könnte es aber auch ernst meinen. „Stevie, ich muss zum
Flughafen.“
    „Es sind zwar noch keine Flüge abgesagt worden, aber
der Rest der Woche soll ziemlich ungemütlich werden.“
    „Danke für den Wetterbericht“, meint Lucy. Stevies
eindringlicher Blick macht ihr zu schaffen. „Es tut mir wirklich Leid. Ich
wollte dich nicht kränken.“
    „Das hast du auch nicht“, erwidert Stevie, als
befasse sie sich zum ersten Mal mit diesem Gedanken. „Ganz und gar nicht. Ich
hätte nicht gedacht, dass ich dich so mögen würde. Ich habe dich nur gesucht,
um dir das zu sagen. Speicher das irgendwo in deinem klugen Köpfchen, und
erinner dich an einem regnerischen Tag daran. Ich hätte wirklich nicht
gedacht, dass ich dich so mögen würde.
    „Du wiederholst dich.“
    „Ich finde es faszinierend. Äußerlich wirkst du so
selbstsicher, ja, fast arrogant, abweisend und unnahbar. Aber ich weiß, dass du
eigentlich ganz anders bist. Komisch, wie sich die Dinge oft so anders
entwickeln, als man gedacht hat.“
    Schnee weht in den Hummer und bleibt im Innenraum
liegen.
    „Wie hast du mich gefunden?“, fragt Lucy.
    „Ich bin zurück zu deinem Haus, aber du warst weg.
Also bin ich deinen Fußabdrücken im Schnee gefolgt, und die haben direkt
hierher geführt. Welche Schuhgröße hast du denn? Neununddreißig? Es war nicht
weiter schwierig.“
    „Tja, tut mir Leid ...“
    „Bitte“, unterbricht Stevie sie eindringlich. „Ich
weiß, dass ich nicht mehr bin als eine weitere Kerbe in deinem Pistolenknauf,
wie es so schön heißt.“
    „So bin ich nicht drauf“, protestiert Lucy - aber
das stimmt nicht.
    Lucy ist sich im Klaren darüber, auch wenn sie es
nie so direkt ausdrücken würde. Sie hat ein schlechtes Gewissen wegen Stevie,
ihrer Tante, Johnny und allen anderen, die sie im Stich gelassen hat.
    „Manche würden auch behaupten, du wärst eine Kerbe
an meinem“, fährt Stevie scherzhaft und im verführerischen Tonfall fort, aber
Lucy weigert sich, dem Gefühl Raum zu geben.
     
    11
     
    Nun ist Stevie wieder selbstbewusst, geheimnisvoll
und erstaunlich attraktiv.
    Lucy legt den Rückwärtsgang ein. Schnee weht ins
Auto, und die Flocken brennen ihr auf dem Gesicht. Vom Wasser kommt Wind auf.
    Stevie wühlt in ihrer Tasche, zieht einen Zettel
heraus und reicht ihn Lucy durch das offene Fenster. „Meine Telefonnummer“,
sagt sie.
    Die Vorwahl lautet 617, die Gegend um Boston. Sie
hat Lucy nie verraten, wo sie wohnt; aber Lucy hat auch nicht nachgefragt.
    „Das war alles, was ich dir sagen wollte“, sagt
Stevie. „Alles Gute zum Valentinstag.“
    Sie sehen einander durch das offene Fenster an. Der
Motor brummt, Schnee fällt und bleibt auf Stevies schwarzem Mantel liegen. Sie
ist wunderschön, und Lucy empfindet wieder genauso wie im Lorraine's. Offenbar
war es ein Irrtum, anzunehmen, dass das Gefühl verflogen ist.
    „Ich bin nicht wie die anderen“, stellt Stevie fest
und blickt Lucy in die Augen.
    „Das bist du nicht.“
    „Meine Mobilfunknummer“, erklärt Stevie. „Eigentlich
wohne ich in Florida. Aber nach Harvard war ich zu faul, meine Mobilnummer zu
ändern. Wozu auch? Freiminuten, du verstehst.“
    „Du warst in Harvard?“
    „Normalerweise erwähne ich das nicht, weil es die
Leute abschreckt.“
    „Wo in Florida?“
    „Gainesville“, erwidert sie. „Alles Gute zum
Valentinstag“, wiederholt sie. „Hoffentlich wird es der denkwürdigste Valentinstag
in deinem Leben.“
    An der Projektionswand in Unterrichtsraum 1A ist

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