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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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noch jemand dort gewesen sein muss. Er denkt darüber
nach, während er die Waffe sichert und sie dann über die Schulter legt, wobei
er mit dem Unterarm den Lauf herunterdrückt wie ein Holzfäller, der eine Axt
trägt. Er starrt auf das tote Ding und erinnert sich an den großen geschnitzten
Holzfäller neben der Tür des Christmas Shop.
    „Dummes Ding“, sagt er, und niemand ist da, der ihn
hören könnte. Nur das tote Ding.
    „Nein, du bist das dumme Ding“, erklärt da die
Stimme Gottes hinter ihm.
    Hog dreht sich um. Da steht sie, ganz in Schwarz.
Eine düstere, fließende Gestalt in einer mondhellen Nacht.
    „Ich habe es dir doch verboten“, stellt sie fest.
    „Hier draußen kann es niemand hören“, erwidert er,
legt die Waffe auf die andere Schulter und sieht die Holzfällerfigur so
deutlich vor sich, als wäre sie wirklich vorhanden.
    „Ich wiederhole mich nur ungern.“
    „Ich wusste nicht, dass du hier bist.“
    „Du weißt nur, wo ich bin, wenn ich beschließe, dass
du es wissen sollst.“
    „Ich habe dir Field & Streams besorgt.
Zwei Ausgaben. Und das Papier, das Fotopapier für den Laserdrucker.“
    „Ich hatte dir doch aufgetragen, mir insgesamt sechs
Zeitschriften zu beschaffen, einschließlich zwei Fly Fishing und zwei Angling Journals.“
    „Ich musste sie stehlen. Es war schwierig, sechs
Stück auf einmal mitgehen zu lassen.“
    „Dann musst du eben nochmal in den Laden. Warum bist
du nur so dämlich?“
    Sie ist Gott. Sie hat einen IQ von
einhundertfünfzig.
    „Du tust, was ich dir sage“, verkündet sie.
    Gott ist eine Frau, und sie ist Gott. Einen anderen
Gott gibt es nicht. Sie wurde Gott, nachdem er das Böse getan hatte und
weggeschickt wurde, ganz weit weg, wo es immer kalt war und schneite. Jetzt ist
er wieder hier, und sie ist Gott geworden. Sie hat ihm mitgeteilt, dass er ihre
Hand ist. Die Hand Gottes. The Hand of God. Hog.
    Er blickt Gott nach, wie sie in der Nacht
verschwindet. Dann hört er Motorenlärm, als sie, den Highway entlang,
davonfliegt. Dabei fragt er sich, ob sie je wieder mit ihm Sex haben wird. Die
ganze Zeit muss er daran denken. Als sie Gott wurde, wollte sie nicht mehr mit
ihm schlafen. Sie hat ihm erklärt, dass ihre Verbindung von nun an etwas
Heiliges ist. Sie hat Sex mit anderen Leuten, aber nicht mit ihm, denn er ist
ihre Hand. Manchmal verhöhnt sie ihn und meint, dass sie ja schlecht Sex mit
ihrer eigenen Hand haben kann. Das wäre doch wie Selbstbefriedigung. Und dann
lacht sie.
    „Du warst offenbar wirklich dumm“, sagt Hog zu dem
toten trächtigen Ding im Staub.
    Er will Sex. Und zwar sofort, als er auf das tote
Ding starrt, es wieder mit dem Fuß anstößt und an Gott denkt. Daran, wie sie
aussieht, nackt und überall mit Händen bemalt.
    Ich weiß, dass du es willst, Hog.
    Ich will, sagt er. Ich will.
    Ich weiß, wo du deine Hände
hinlegen möchtest. Ich habe doch Recht, oder? ja.
    Du willst sie dorthin legen, wo
ich mich von anderen Leuten anfassen lasse, stimmt's?
    Ich wünschte, du würdest dich von
niemandem anfassen lassen. Ja, ich will.
    Sie befiehlt ihm, rote Handabdrücke an die Stellen
zu malen, wo sie sich nicht von anderen Leuten berühren lassen soll: An die
Stellen, wo seine Hände waren, als er das Böse getan hat und fortgeschickt wurde,
weit weg, wo es kalt war und schneite und wo man ihn in eine Maschine gesteckt
hat, um seine Moleküle neu zu ordnen.
     
    15
     
    Am nächsten Morgen, einem Dienstag, ziehen aus der
Ferne vom Meer her Wolken heran, und das trächtige tote Ding liegt steif auf
dem Boden. Inzwischen haben die Fliegen es entdeckt.
    „Schau, was du angerichtet hast. Du hast alle deine
Kinder umgebracht. Dummes Ding.“
    Als er es mit dem Stiefel anschubst, stieben die
Fliegen in alle Richtungen auseinander wie Funken. Er beobachtet, wie sie
summend zu dem zerschmetterten, blutverkrusteten Kopf zurückkehren. Dann
starrt er auf das tote steife Ding und die Fliegen, die darauf herumkrabbeln.
Er sieht es an, ohne sich davon stören zu lassen, kauert sich daneben, so
dicht, dass die Fliegen wieder aufgescheucht werden, und nun riecht er es auch.
Der Gestank des Todes steigt ihm in die Nase und wird in wenigen Tagen so
übermächtig sein, dass man ihn, abhängig vom Wind, schon aus einigen Dutzend
Metern Entfernung wahrnimmt. Fliegen werden ihre Eier in die Körperöffnungen
und Wunden legen, und bald wird der Kadaver von Maden wimmeln. Doch das macht
ihm nichts aus. Er sieht sich gern an, welche Folgen der Tod

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