Defekt
lieber bei meinen Harleys“, sagt Marino.
„Ich habe einen Tipp gekriegt. Nicht im Zusammenhang
mit diesem Fall. Vielleicht hat es etwas mit einem anderen zu tun.“
„Von wem?“, fragt er argwöhnisch.
„Benton. Offenbar hat ihm ein Patient eine
Geschichte über einen unaufgeklärten Mord in Las Olas erzählt.“
Sie drückt sich vorsichtig aus. Marino weiß nichts
von BESTIE. Benton will nicht, dass er davon erfährt. Er befürchtet nämlich,
Marinos mangelndes Verständnis für sein Anliegen könnte sich als wenig
hilfreich erweisen. Marino ist nämlich der Meinung, man sollte Gewaltverbrecher
zunächst ordentlich verprügeln, dann wegsperren und sie zu guter Letzt auf möglichst
grausame Weise hinrichten. Ob ein mordlüsterner Psychopath geisteskrank oder
einfach nur bösartig ist oder ob ein Pädophiler seinen Neigungen ebenso
machtlos gegenübersteht wie ein Psychotiker seinen Halluzinationen,
interessiert ihn einen feuchten Dreck. In Marinos Augen sind psychologische
Erkenntnisse und die Erforschung von Strukturen und Funktionsweisen des
Gehirns nichts weiter als Blödsinn.
„Offenbar behauptet dieser Patient, vor etwa
zweieinhalb Jahren eine Frau in einem Christmas Shop vergewaltigt und ermordet
zu haben“, erklärt Lucy Marino. Sie hofft, dass sie sich nicht eines Tages
verplappert und verrät, dass Benton Sträflinge untersucht.
Marino weiß sehr wohl, dass McLean, das
Lehrkrankenhaus von Harvard, diese mustergültige psychiatrische Klinik mit
ihrer Abteilung für Selbstzahler, die sich um die Reichen und Berühmten
kümmert, eindeutig keine forensische Psychiatrie ist. Wenn dennoch Häftlinge
zur Untersuchung dorthin gebracht werden, bedeutet das, dass dort im
Verborgenen etwas Seltsames vor sich geht.
„Im was?“, fragt Marino.
Lucy wiederholt, was sie gerade gesagt hat.
„Pächterin war Florrie Anna Quincy, eine achtunddreißigjährige Weiße, deren
Mann ein paar Baumschulen in West Palm Beach besaß. Hauptsächlich
Zitrusfrüchte. Den Christmas Shop gab es nur etwa zwei Jahre lang, und zwar
zwischen 2000 und 2002.“
Lucy tippt weitere Tastaturbefehle ein und wandelt
Zahlenkolonnen in Textdateien um, die sie an Benton mailen wird.
„Schon mal von einem Laden namens Beach Bums
gehört?“
„Ich kann dich kaum noch verstehen“, erwidert
Marino.
„Hallo? Ist es jetzt besser? Marino?“
„Ich höre dich.“
„So heißt der Laden, der jetzt dort ist. Mrs. Quincy
und ihre siebzehnjährige Tochter Helen sind seit Juli 2002 verschwunden. Ich
habe einen Artikel darüber in der Zeitung entdeckt. Es wurde nicht mehr viel
darüber berichtet, nur manchmal ein paar Zeilen. Im letzten Jahr dann gar
nichts mehr.“
„Vielleicht sind sie ja wieder aufgetaucht, und die
Medien haben es nur nicht erwähnt“, antwortet Marino.
„Ich habe nichts gefunden, was darauf hinweisen
würde, dass sie wohlbehalten zurückgekommen wären. Der Sohn hat im letzten
Frühjahr sogar erfolglos versucht, sie offiziell für tot erklären zu lassen.
Vielleicht kannst du bei der Polizei von Fort Lauderdale nachfragen, ob sich
jemand an das Verschwinden von Mrs. Quincy und ihrer Tochter erinnert. Ich habe
vor, irgendwann morgen bei Beach Bums vorbeizuschauen.“
„Die Polizei von Fort Lauderdale hat die Suche
sicher nicht ohne guten Grund eingestellt.“
„Dann müssen wir rauskriegen, was dieser Grund war.“
Am Ticketschalter von USAir ist Scarpetta
mittlerweile in eine heftige Auseinandersetzung verwickelt.
„Das ist unmöglich“, wiederholt sie und steht kurz
davor, vor Wut die Beherrschung zu verlieren. „Hier ist meine Buchungsnummer,
und das hier ist der Ausdruck meiner Quittung. Da steht es schwarz auf weiß.
Erste Klasse, Abflugzeit achtzehn Uhr zwanzig. Wie kann meine Reservierung dann
storniert sein?“
„Ma'am, es steht aber hier im Computer. Ihre
Reservierung wurde um vierzehn Uhr fünfzehn abgesagt.“
„Heute?“ Scarpetta traut ihren Ohren nicht.
Das kann nur ein Irrtum sein.
„Ja, heute.“
„Das ist unmöglich. Ich habe ganz sicher nicht
angerufen und storniert.“
„Tja, jemand hat es aber getan.“
„Dann buchen Sie mich wieder ein“, meint Scarpetta
und will die Brieftasche zücken.
„Der Flug ist voll. Ich kann Sie zwar für die
Economy auf die Warteliste setzen, aber es sind sieben Leute vor Ihnen dran.“
Scarpetta bucht einen neuen Flug für den nächsten
Tag und ruft Rose an.
„Ich fürchte, Sie müssen mich wieder abholen“,
beginnt Scarpetta.
„O
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