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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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handhaben, und es war ein schönes Stück
Arbeit, die Blöcke, die er verkleidet hat, von den Kühltruhen in den hinteren
Teil des Schießstands mit den gepolsterten Wänden zu schleppen. Die Labortür
ist abgeschlossen. Das rote Licht draußen leuchtet, ein warnender Hinweis
darauf, dass im Schießstand gerade scharf geschossen wird.
    „Hübsch gemacht, aber keine Möglichkeit, die schönen
Klamotten auszuführen“, sagt er zu der unappetitlichen Masse.
    Die Substanz, auch als Hydrolysate-Gelatine bekannt,
wird außerdem in Shampoos, Haarkuren, Lippenstiften, Proteingetränken,
Medikamenten gegen Arthritis und vielen weiteren Produkten verwendet, die Joe
niemals im Leben anrühren würde. Er weigert sich sogar, seine Verlobte zu
küssen, wenn sie die Lippen angemalt hat - nie wieder. Als sich ihre Lippen
beim letzten Mal an seine gepresst haben, hat er sich vorgestellt, wie Rinder-,
Schweine- und Fischabfälle in einem riesigen Kessel kochten. Inzwischen liest
er die Etiketten ganz genau. Wenn unter den Zutaten hydrolytische tierische
Proteine aufgelistet sind, wandert das Produkt in den Müll beziehungsweise
zurück ins Regal.
    Sachgemäß aufbereitet simuliert ballistische
Gelatine Eigenschaften des menschlichen Körpers, und zwar fast so gut wie
Schweinegewebe, welches Joe bevorzugen würde. Er hat von
Schusswaffen-Testlabors gehört, in denen man auf tote Schweine schießt, um das
Eindringen und die Ausdehnung von Geschossen in verschiedenen Situationen zu
untersuchen. Er persönlich würde lieber auf ein Schwein losballern und hätte
mehr Spaß daran, einen großen Schweinekadaver als Menschen zu verkleiden, um dann
zuzusehen, wie die Lehrgangsteilnehmer ihn - aus unterschiedlichen Entfernungen
und mit diversen Waffen und Arten von Munition - mit Kugeln durchsieben. Eine
tolle Horror-Szene. Noch teuflischer wäre es, ein lebendiges Schwein zu
nehmen. Aber das würde Scarpetta niemals gestatten. Nicht einmal das Schießen
auf ein totes Tier kommt für sie in Frage.
    „Es wäre ziemlich zwecklos, sie zu verklagen“,
wendet Jenny ein. „Sie ist nämlich auch noch Anwältin.“
    „Na und?“
    „Nun, wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du
es doch schon versucht und bist nicht weit damit gekommen. Jedenfalls ist Lucy
diejenige, die das Geld hat. Angeblich hält sie sich für die Allergrößte. Aber
ich bin ihr noch nie begegnet, keiner von uns kennt sie.“
    „Da hast du nichts verpasst. Eines Tages wird sie
schon jemand zurechtstutzen.“
    „Jemand wie du?“
    „Vielleicht bin ich ja sogar schon dabei.“ Er
schmunzelt. „Ich verrate dir etwas: Ich werde nicht gehen, ohne zuvor meinen
Anteil zu bekommen. Nach allem, was ich ihretwegen durchgemacht habe, habe ich
eine Belohnung verdient.“ Wieder denkt er an Scarpetta. „Sie behandelt mich wie
das Hinterletzte.“
    „Kann sein, dass ich Lucy kennen lerne, bevor ich
meinen Abschluss mache“, sagt Jenny nachdenklich. Sie sitzt auf der
Arbeitsfläche und blickt zwischen Joe und dem Gelatine-Mann, den er als Marino
verkleidet hat, hin und her.
    „Das sind doch alles Schwachköpfe“, fährt er fort.
„Die beschissene Heilige Dreifaltigkeit. Tja, aber ich habe eine kleine
Überraschung für sie.“
    „Was?“
    „Du wirst schon sehen. Vielleicht teile ich ja mit
dir.“
    „Worum geht es?“
    „Lass es mich einmal so ausdrücken“, erwidert er.
„Ich werde davon profitieren. Sie unterschätzt mich, und das ist ein gewaltiger
Fehler. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“
    Zu seinen Aufgaben gehört auch, Scarpetta in der
Gerichtsmedizin von Broward County zu assistieren, wo sie ihn herumscheucht
wie einen Sklaven. Sie verdonnert ihn dazu, die Leichen nach der Obduktion
wieder zuzunähen, die Tabletten in den Medikamentendöschen der eingelieferten Toten
zu zählen und ihre persönliche Habe in Listen zu erfassen, als wäre er ein
gewöhnlicher Assistent im Autopsiesaal und nicht selbst Arzt. Sie hat ihm die
Verantwortung aufgebürdet, die Leichen zu wiegen, zu messen, zu fotografieren
und auszuziehen und in dem widerlichen Zeug herumzuwühlen, das sich
gelegentlich am Grunde eines Leichensackes verbirgt - vor allem dann, wenn es
sich um die stinkenden, von Maden durchsetzten Überreste einer Wasserleiche
oder die modrigen Hautfetzen und Knochen eines teilweise skelettierten Toten
handelt. Doch am erniedrigendsten ist der Auftrag, die zehnprozentige
ballistische Gelatine für die Gelatineblöcke anzumengen.
    Warum? Können Sie mir

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