Defekt
das
begründen?, hat er sich bei Scarpetta
beschwert, als sie ihm im letzten Sommer die Anweisung gab.
Das gehört zu Ihrer
Facharztausbildung, Joe, erwiderte
sie, ungerührt wie immer.
Ich werde zum forensischen
Pathologen ausgebildet, nicht zum Labortechniker oder Koch, hatte er eingewandt.
Meine Auszubildenden zum Facharzt
für forensische Pathologie müssen ganz unten anfangen, entgegnete sie. Und sie dürfen sich für keine Arbeit zu fein sein.
Oh, und jetzt werden Sie mir
sicher gleich erzählen, dass Sie zu Anfang Ihrer Karriere auch Gelatineblöcke
angefertigt haben, höhnte
er.
Ich tue es immer noch, und ich
gebe Ihnen gern mein Lieblingsrezept, antwortete
sie. Eigentlich
bevorzuge ich Vyse, aber mit Kind & Knox geht es genauso gut. Fangen Sie
immer mit kaltem Wasser an, die optimale Temperatur beträgt zwischen sieben und
zehn Grad Celsius. Dann fügen Sie die Gelatine dem Wasser bei, nicht umgekehrt.
Immer weiter rühren, aber nicht zu kräftig, da schließlich keine Luft
eingeschlossen werden soll. Dann geben Sie zwei Komma fünf Milliliter
Foam-Eater-Entschäumer pro zwölf Komma fünf Liter Blockgewicht hinzu. Und
vergewissern Sie sich, dass die Gussform blitzblank ist. Zu guter Letzt
träufeln Sie noch null Komma fünf Milliliter Zimtöl hinein.
Wie reizend.
Zimtöl
verhindert das Wachstum von Pilzen, sagte
sie.
Sie stellte eine Liste ihrer persönlichen Zutaten
und dann eine mit Gerätschaften auf, zu denen eine Laser-Wasserwaage, ein
Messbecher, ein Farbumrührer, ein 12-Kubikzentimeter-Spritzbesteck,
Propionsäure, ein Aquariumschlauch, Alufolie, ein großer Löffel und so weiter
gehörten. Und zu guter Letzt veranstaltete sie für ihn eine Probevorführung in
der Laborküche, die einer Fernsehköchin würdig gewesen wäre. Jetzt kann er
sich wie ein toller Hecht fühlen, wenn er aus Tierkadavern gepresstes Pulver
aus Zwölfeinhalb-Kilo-Trommeln schaufelt, wiegt, mischt und schleppt oder
gewaltige, schwere Töpfe in Kühltruhen oder Kühlkammern wuchtet. Anschließend
muss er noch dafür sorgen, dass sich die Lehrgangsteilnehmer auch rechtzeitig
auf dem Schießstand oder draußen auf dem Schießplatz versammeln, bevor sich
die verdammten Dinger wieder auflösen. Das tun sie nämlich. Sie schmelzen dahin
wie Wackelpudding und sind am besten einsatzbereit, wenn man sie nicht später
als zwanzig Minuten nach dem Entfernen aus dem Kühlschrank serviert, was
natürlich auch von der Temperatur des Versuchsumfelds abhängt.
Er nimmt ein Fliegengitter fürs Fenster von einem
Lagerschrank und lehnt es gegen die als Motorradrocker verkleideten
Gelatineblöcke. Dann setzt er einen Gehörschutz und eine Schutzbrille auf und
weist Jenny mit einer Kopfbewegung an, dasselbe zu tun. Danach greift er nach
einer Beretta 92 aus Edelstahl, einer topmodernen Double-Action mit einem Tritium-Reflexvisier,
und lädt sie mit Speer Gold Dot 147 grain, einer Munition, die sechs
Einkerbungen rings um den Rand der Hohlspitze aufweist. Dadurch dehnt sich das
Projektil aus, wenn es Kleidungsstücke durchdringt, die so dick wie vier
Schichten Jeansstoff oder eine Motorradjacke aus schwerem Leder sind.
Das Besondere an diesem Probeschuss ist, dass die
Kugel beim Durchschlagen des Fliegengitters ein Maschenmuster erzeugen wird,
bevor sie in die Harley-Jacke eindringt und Mr. Wackelpudding - wie er seine
Gelatine-Testpuppen nennt - ein Loch in die Brust bohrt.
Joe zieht den Schlitten zurück, gibt fünfzehn Schuss
ab und stellt sich dabei vor, Mr. Wackelpudding wäre Marino.
17
Draußen vor dem Fenster des Konferenzraums biegen
sich die Palmen in Wind. Es wird regnen, denkt
Scarpetta, denn es sieht ganz danach aus, als ob ein schweres Gewitter im Anzug
wäre. Marino ist schon wieder zu spät dran, und er hat noch immer nicht
zurückgerufen.
„Guten Morgen, lassen Sie uns anfangen“, begrüßt sie
ihre Mitarbeiter. „Wir haben eine Menge zu erledigen, und es ist bereits
Viertel vor neun.“
Scarpetta hasst Unpünktlichkeit und kann es nicht
leiden, wenn sie sich durch die Schuld eines anderen Menschen verspätet. So
wie jetzt wegen Marino. Immer wieder Marino. Er bringt ihren Tagesablauf
durcheinander und macht alles kaputt.
„Heute Abend werde ich hoffentlich in einem Flieger nach
Boston sitzen“, beginnt sie. „Vorausgesetzt, meine Buchung wird nicht wieder
auf geheimnisvolle Weise storniert.“
„Bei den Fluggesellschaften geht es drunter und
drüber“, sagt Joe. „Kein Wunder, dass eine nach der
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