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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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kleinen verdreckten
Zimmer mit der abgesackten Decke und der feuchten Tapete liegen Zeitschriften
herum. Da Ev ohne Brille nur schlecht sieht, kann sie die pornographischen
Titelblätter kaum erkennen. Sie hat auch Schwierigkeiten, die Limoflaschen und
die Fast-Food-Einwickelpapiere auszumachen, die überall verstreut sind.
Zwischen der Matratze und der abgeblätterten Tapete steckt ein kleiner
rosafarbener Tennisschuh von Keds, eine Mädchengröße. Unzählige Male hat Ev ihn
in die Hand genommen und sich gefragt, was das zu bedeuten hat und wem der
Schuh wohl gehört haben mag. Sie befürchtet, dass das Mädchen tot ist.
Manchmal, wenn er hereinkommt, schiebt Ev den Schuh wieder hinter die Matratze,
denn sie hat Angst, dass er ihn ihr wegnehmen könnte. Der Schuh ist alles, was
sie noch hat.
    Sie schläft nie länger als eine oder zwei Stunden am
Stück und hat keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist. Die Zeit hat
aufgehört zu existieren. Graues Licht strömt durch das zerbrochene Fenster am
einen Ende des Raums herein, und Ev kann die Sonne nicht sehen. Sie riecht
Regen.
    Sie weiß nicht, was er mit Kristin und den Jungen
angestellt hat. Was er ihnen getan hat. Undeutlich erinnert sie sich an die
ersten Stunden, diese entsetzlichen und unwirklichen Stunden, in denen er ihr
Essen und Wasser gebracht und sie dann in der Dunkelheit beobachtet hat. Er war
so schwarz wie die Nacht, ein finsterer Geist, der auf der Türschwelle lauerte.
    Wie fühlt es sich an?, fragte er sie mit leiser, kalter Stimme. Wie fühlt es sich an, wenn man weiß,
dass man sterben muss?
    Im Zimmer ist es immer dunkel. Und wenn er
hereinkommt, verdüstert sich die Stimmung noch mehr.
    Ich habe keine Angst. Sie können
meine Seele nicht zerstören.
    Sag, dass es dir Leid tut.
    Für Reue ist es nie zu spät. Gott
vergibt selbst die größten Sünden, wenn Sie demütig sind und bereuen.
    Gott ist eine Frau, und ich bin
ihre Hand. Sag, dass es dir Leid tut.
    Das ist Gotteslästerung. Schämen
Sie sich. Ich habe nichts getan, wofür ich mich entschuldigen müsste.
    Ich werde dich lehren, dich zu
schämen. Du wirst sagen, dass es dir Leid tut, genau wie sie.
    Kristin?
    Dann war er fort, und Ev hörte Stimmen aus einem
anderen Teil des Hauses. Sie verstand zwar nichts, aber ganz sicher sprach er
mit Kristin. Er redete mit einer Frau. Ev konnte zwar keine einzelnen Wörter
verstehen, aber es fand eindeutig eine Unterhaltung statt. Sie erinnert sich an
Fußgetrappel und Stimmen auf der anderen Seite der Wand, und dann erkannte sie
Kristin. Sie wusste, dass sie es war. Wenn Ev jetzt darüber nachdenkt, fragt
sie sich, ob sie es nur geträumt hat.
    Kristin! Kristin! Hier bin ich!
Hier bin ich! Wagen Sie es nicht, ihr wehzutun!
    Sie hört ihre eigene Stimme in ihrem Kopf, aber es
hätte genauso gut ein Traum sein können.
    Kristin? Kristin? Wagen Sie es
nicht, ihr wehzutun!
    Dann wurde wieder gesprochen; also hatte sie
vielleicht Recht. Aber Ev ist sich nicht sicher. Sie könnte es auch geträumt haben.
Womöglich hat sie ebenfalls geträumt, dass seine Schritte sich den Flur
entlangbewegten und dass kurz darauf die Haustür ins Schloss fiel. All das
hätte Stunden, aber auch Minuten dauern können. Mag sein, dass ein Wagen
angesprungen ist. Doch vielleicht war auch das nur ein Traum, ein Trugbild. Ev
saß in der Dunkelheit und lauschte mit klopfendem Herzen auf ein Lebenszeichen
von Kristin und den Jungen. Aber vergeblich. Sie rief nach ihnen, bis ihr die
Kehle brannte wie Feuer, bis ihr beinahe schwarz vor Augen wurde und sie keine
Luft mehr bekam.
    Das Tageslicht kam und ging, und irgendwann erschien
wieder seine dunkle Gestalt mit Wasser in Pappbechern und etwas Essbarem. Nie
hat sie sein Gesicht gesehen, nicht einmal, als er in ihr Haus kam. Er trägt eine
schwarze Kapuze mit Sehschlitzen, die ihm lang und locker über die Schultern
fällt wie ein schwarzer Kopfkissenbezug. Die schwarz vermummte Gestalt hat Spaß
daran, sie mit dem Gewehrlauf zu stoßen, als wäre sie ein Tier im Zoo und als
mache es ihn neugierig, zu beobachten, wie sie auf diese Behandlung reagieren
wird. Er berührt sie an intimen Stellen und wartet ab, wie sie sich verhält.
    Schämen Sie sich, sagt Ev, während er sie schubst. Sie können zwar meinen Körper
verletzen, aber meine Seele nicht. Meine Seele gehört Gott.
    Sie ist nicht da, und ich bin
ihre Hand. Sag, dass es dir Leid tut.
    Mein Gott ist ein eifersüchtiger
Gott. „Du sollst keine anderen Götter neben

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