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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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mir haben.“
    Sie ist nicht da. Und wieder stößt er sie mit dem Gewehrlauf, manchmal so fest,
dass ein kreisrunder, blauschwarzer Bluterguss auf ihrer Haut zurückbleibt.
    Sag, dass es dir Leid tut, wiederholt er.
    Ev sitzt auf der stinkenden, vermoderten Matratze.
Sie wurde schon öfter benutzt, und zwar für unaussprechliche Dinge, sodass sie
nun steif und mit schwarzen Flecken übersät ist. Sie sitzt da, in dem muffigen,
stickigen und vermüllten Zimmer, lauscht, versucht, nicht zu denken, spitzt die
Ohren, betet und ruft um Hilfe. Niemand antwortet. Niemand hört sie, und sie
fragt sich, wo sie wohl sein könnte. Wo ist sie nur, dass niemand ihre Schreie
bemerkt?
    Flucht ist unmöglich, und zwar wegen der geschickt
zurechtgebogenen Kleiderbügel mit den hindurchgefädelten Stricken, die sie um
Handgelenke und Knöchel trägt. Ein Ende der Seile ist über einen Balken in der
abgesackten Decke geschlungen, sodass sie festhängt wie eine groteske
Marionette, zerschlagen, von Insekten zerstochen und mit Ausschlägen bedeckt.
Ihr nackter Körper juckt, und sie hat große Schmerzen. Mühsam schafft sie es,
aufzustehen. Sie kann die Matratze verlassen, um Blase und Darm zu entleeren.
Doch dabei wird sie von einem Schmerz durchzuckt, der so heftig ist, dass sie
beinahe ohnmächtig wird.
    Er tut alles im Dunkeln. Er kann im Dunkeln sehen.
Sie hört seinen Atem in der Dunkelheit. Er ist eine schwarze Gestalt. Er ist
Satan.
    „Gott, hilf mir“, sagt sie, zum zerbrochenen Fenster
gewandt und in den grauen Himmel hinein, zu Gott, der irgendwo oben in diesem
Himmel wohnt. „Bitte, lieber Gott, hilf mir.“
     
    19
     
    Scarpetta hört, wie sich aus der Ferne ein Motorrad
mit sehr lautem Auspuff nähert.
    Sie versucht, sich zu konzentrieren, während das
Motorrad immer dichter herankommt und am Gebäude vorbei zum Dozentenparkplatz
fährt. Sie denkt an Marino und fragt sich, ob es besser wäre, ihm zu kündigen.
Aber sie ist sich nicht sicher, ob sie das übers Herz bringen würde.
    Gerade erklärt sie, dass es in Laurel Swifts Haus
zwei Telefone gab, die beide nicht angeschlossen waren. Die Kabel fehlten.
Laurel hatte sein Mobiltelefon im Wagen vergessen und behauptet, er habe das
von seinem Bruder nicht finden können. Deshalb habe er nicht gewusst, wie er
Hilfe holen sollte. In seiner Panik sei er aus dem Haus gerannt und habe
draußen einen Wagen angehalten. Ins Haus ist er erst nach Eintreffen der Polizei
zurückgekehrt, und da war das Gewehr bereits verschwunden.
    „Diese Informationen habe ich von Dr. Bronson“, fügt
Scarpetta hinzu. „Ich habe einige Male mit ihm gesprochen, und es tut mir
Leid, dass ich nicht besser über die Einzelheiten im Bilde bin.“
    „Sind die Telefonkabel je wieder aufgetaucht?“
    „Keine Ahnung“, antwortet Scarpetta, weil Marino ihr
das nicht mitgeteilt hat.
    „Vielleicht hat Johnny Swift sie ja selbst entfernt.
Damit niemand Hilfe holen konnte - für den Fall, dass er nicht sofort tot war.
Wenn wir mal davon ausgehen, dass wir es mit einem Selbstmord zu tun haben.“
Wie immer hat Joe eine blühende Phantasie.
    Scarpetta schweigt, weil sie über das Telefonkabel
nur das weiß, was Dr. Bronson ihr in seiner etwas konfusen und leicht
zerstreuten Art erzählt hat.
    „Fehlt bis auf die Telefonkabel, das Mobiltelefon
des Toten und das Schrotgewehr sonst noch etwas aus dem Haus? Allerdings würde
das eigentlich schon genügen.“
    „Da müssen Sie sich bei Marino erkundigen“, erwidert
sie. „Ich glaube, der ist gerade angekommen - sofern es hier nicht noch
jemanden mit einem Motorrad gibt, das so laut ist wie ein Space Shuttle beim
Start.“
    „Wenn Sie mich fragen, wundert es mich, dass man
Laurel nicht wegen Mordes angeklagt hat“, sagt Joe.
    „Man kann niemanden wegen Mordes anklagen, solange
die Todesursache nicht feststeht“, entgegnet Scarpetta. „Und die ist weiterhin
ungeklärt. Die Beweise reichen nicht einmal, um sich auf Selbstmord, Mord oder
Unfall festzulegen, obwohl ich, was einen Unfall angeht, starke Zweifel habe.
Wenn sich diese Fragen nicht zu Dr. Bronsons Zufriedenheit beantworten lassen,
wird er irgendwann auf Tod unter ungeklärten Umständen erkennen.“
    Draußen auf dem mit Teppich ausgelegten Flur sind
schwere Schritte zu hören.
    „Was ist aus dem gesunden Menschenverstand
geworden?“, merkt Joe an.
    „Eine Todesursache kann man nicht einfach so über
den Daumen peilen“, gibt Scarpetta zurück und wünscht sich, er würde seine
dummen

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