Defekt
anderen Pleite macht.“
„Wir wurden gebeten, uns einen Fall in Hollywood
anzusehen, und zwar geht es um einen mutmaßlichen Selbstmord, bei dem
allerdings einige seltsame Umstände ins Spiel kommen“, fährt Scarpetta fort.
„Ich würde gern noch etwas ansprechen“, unterbricht
Vince, der Schusswaffenexperte.
„Nur zu.“ Scarpetta nimmt einige Fotos aus einem
Umschlag und reicht sie herum.
„Jemand hat vor etwa einer Stunde im Schießstand
Schüsse abgegeben.“ Er wirft Joe einen vielsagenden Blick zu. „Und zwar
unangemeldet.“
„Eigentlich wollte ich den Schießstand gestern Abend
reservieren, aber ich habe es vergessen“, erwidert Joe. „Es stand niemand auf
der Liste.“
„Sie hätten sich trotzdem vorher anmelden müssen.
Nur so können wir überprüfen ...“
„Ich habe eine neue Mischung ballistische Gelatine
ausprobiert, bei der ich heißes anstelle von kaltem Wasser verwendet hatte, um
festzustellen, ob das beim Kalibrierungstest irgendwelche Unterschiede ergibt.
Eine Abweichung von einem Zentimeter. Es hat also geklappt.“
„Wahrscheinlich kommt es bei jeder Ihrer
bescheuerten Mischungen zu einer Abweichung von plus oder minus einem
Zentimeter“, gibt Vince gereizt zurück.
„Wir dürfen keine Blöcke verwenden, die nicht
getestet wurden. Also kontrolliere ich ständig die Kalibrierung und versuche,
sie zu vervollkommnen. Dazu muss ich viel Zeit im Waffenlabor verbringen. Ich
mache das doch nicht zum Vergnügen.“
Joe sieht Scarpetta an.
„Die ballistische Gelatine gehört zu meinem Aufgabenbereich.“
Wieder ein Blick in ihre Richtung.
„Hoffentlich haben Sie daran gedacht, Puffer zu
benutzen, bevor Sie auf die Rückwand losgeballert haben“, fügt Vince hinzu.
„Ich hatte Sie schon öfter darum gebeten.“
„Sie kennen die Regeln, Dr. Arnos“, sagt Scarpetta.
In Gegenwart der Kollegen nennt sie ihn stets Dr.
Arnos, nicht Joe, und erweist ihm damit mehr Respekt, als er eigentlich
verdient.
„Wir müssen alles ins Schießbuch eintragen“, fährt
sie fort. „Jede aus dem Testbestand entfernte Waffe, jede Patrone, jedes
Probeschießen. Die Vorschriften sind unbedingt einzuhalten.“
„Ja, Ma'am.“
„Das hat auch juristische Gründe. Schließlich enden
die meisten unserer Fälle vor Gericht“, ergänzt sie. „Ja, Ma'am.“
„Also gut.“ Sie erzählt ihren Mitarbeitern von
Johnny Swift.
Scarpetta berichtet, dass er Anfang November einen
chirurgischen Eingriff an den Handgelenken durchführen ließ und anschließend
seinen Bruder in Hollywood besuchte. Die Brüder waren eineiige Zwillinge. Am
Tag vor Thanksgiving fuhr Laurel, der Bruder, zum Einkaufen und kehrte gegen 16
Uhr 30 nach Hause zurück. Nachdem er die Lebensmittel ins Haus getragen hatte,
fand er Dr. Swift tot auf dem Sofa vor. Todesursache war eine Schusswunde in
der Brust.
„An diesen Fall erinnere ich mich“, meint Vince. „Es
kam in den Nachrichten.“
„Zufällig erinnere ich mich sehr gut an Dr. Swift“,
sagt Joe. „Er rief öfter Dr. Seif an. Als ich einmal in ihrer Show war, meldete
er sich und hielt ihr einen riesigen Vortrag über das Tourette-Syndrom. Ich
teilte zufällig ihre Auffassung, dass es sich dabei nur um eine Ausrede für
schlechtes Benehmen handelt. Aber er faselte etwas von einer neurochemischen
Dysfunktion und Fehlbildungen im Gehirn. Ein echter Experte“, fügt er höhnisch
hinzu.
Niemand interessiert sich für Joes Auftritte in Dr.
Selfs Show. Und das gilt auch für alle anderen Shows, in denen er sonst aufgetreten
sein könnte.
„Was ist mit der ausgeworfenen Patronenhülse und der
Waffe?“, erkundigt sich Vince bei Scarpetta.
„Laut Polizeibericht entdeckte Laurel Swift ein
Schrotgewehr auf dem Boden, einen knappen Meter hinter dem Sofa. Keine
Patronenhülse.“
„Das ist aber merkwürdig. Er schießt sich selbst in
die Brust und schafft es dann noch, die Waffe über die Sofalehne zu werfen?“
Joe hat wieder das Wort ergriffen. „Ich kann auf den Tatortfotos nirgendwo
eine Waffe erkennen.“
„Der Bruder behauptet, er hätte die Waffe auf dem
Boden hinter dem Sofa gesehen. Mit Betonung auf behauptet. Darauf kommen wir gleich“, erwidert Scarpetta.
„Hat man Schmauchspuren an der Leiche gefunden?“
„Leider ist Marino nicht hier, denn er ist unser
Ermittler in diesem Fall und hat eng mit der Polizei von Hollywood zusammengearbeitet“,
erwidert Scarpetta, ohne sich anmerken zu lassen, wie sehr sie sich über ihn
ärgert. „Ich weiß nur,
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