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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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zu
der Frauen eigentlich keinen Zutritt hatten, insbesondere nicht solche, die
sich, wie Marino fand, für etwas Besseres hielten, weil sie Medizin und Jura
studiert hatten.
    „Meiner Ansicht nach wäre der Fall Swift eine prima
Vorlage für eine Horror-Szene“, sagt Joe. „Schmauchspuren, Röntgenaufnahmen
und die übrigen Untersuchungsergebnisse erzählen zwei unterschiedliche Geschichten.
Ich bin neugierig, ob die Lehrgangsteilnehmer dahinterkommen. Wetten, dass sie
noch nie vom Billardkugel-Effekt gehört haben?“
    „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, ruft Marino. „Oder
hat jemand bemerkt, dass ich das Fußvolk nach seiner Meinung gefragt hätte?“
    „Tja, Sie wissen ja, was ich von Ihren kreativen
Fähigkeiten halte“, gibt Joe zurück. „Offen gestanden, finde ich sie gefährlich.“
    „Was Sie denken, interessiert mich einen
Scheißdreck.“
    „Wir können von Glück reden, dass die Akademie noch
nicht pleite ist. Die Abfindung wäre nämlich ganz schön ins Geld gegangen“,
erwidert Joe, als wäre ihm der Gedanke völlig fremd, dass Marino ihn eines
Tages nach Strich und Faden vermöbeln könnte. „Und das hätten wir in diesem
Fall nur Ihnen zu verdanken.“
    Im letzten Sommer hat eine Lehrgangsteilnehmerin
während einer von Marinos Tatortsimulationen ein Trauma erlitten, den Kurs
abgebrochen und mit Klage gedroht. Zum Glück ist die Sache im Sande verlaufen,
aber Scarpetta und ihre Mitarbeiter haben seitdem ein mulmiges Gefühl, wenn
Marino bei Ausbildungsmaßnahmen und Tatortsimulationen - ob nun Horror oder
nicht - mitmischt oder auch nur einen Fuß in einen Unterrichtsraum setzt.
    „Glauben Sie nicht, dass ich mir nicht ständig vor
Augen halte, was damals passiert ist, wenn ich eine Horror-Szene entwerfe“,
fährt Joe fort.
    „Sie entwerfen Horror-Szenen?“, empört sich Marino.
„Damit meinen Sie wohl, dass Sie mir die Ideen klauen!“
    „Das ist ja nun wirklich absurd. Ich habe es nicht
nötig, anderen Menschen die Ideen zu klauen, insbesondere nicht Ihnen.“
    „Ach, wirklich? Meinen Sie etwa, ich erkenne nicht
wieder, was auf meinem Mist gewachsen ist? Sie haben doch viel zu wenig Ahnung
vom Fach, um sich solche Sachen einfallen zu lassen, Mr. Möchtegern-Pathologe!“
    „Es reicht“, unterbricht Scarpetta mit erhobener
Stimme. „Ruhe jetzt.“
    „Ich habe da eine großartige Idee, bei der es um
einen Mann geht, der, wie es auf den ersten Blick scheint, aus einem vorbeifahrenden
Auto erschossen wurde“, spricht Joe ungerührt weiter. „Doch als man die Kugel
entfernt, weist das Blei ein ungewöhnliches Waffel- oder Netzmuster auf, da der
Täter das Opfer in Wirklichkeit durch ein Fliegengitter umgenietet hat. Dann
hat er die Leiche ...“
    „Das ist auch von mir!“, ruft Marino und schlägt mit
der Faust auf den Tisch.
     
    20
     
    Der Seminole fährt einen zerbeulten weißen Pick-up,
der mit Maiskolben beladen ist und ein Stück entfernt von den Zapfsäulen
parkt. Hog beobachtet ihn schon seit einer Weile.
    „So ein Arschloch hat mir gerade meine
Scheißbrieftasche und mein Handy geklaut, wahrscheinlich während ich beim
Duschen war“, schimpft der Mann, der in der Telefonzelle steht und der
Tankstelle mit den ankommenden und abfahrenden Sattelschleppern den Rücken
zukehrt.
    Hog lässt sich nicht anmerken, wie er sich amüsiert,
während er zuhört, wie der Mann am Telefon tobt, weil er schon wieder eine
Nacht auswärts verbringen muss. Er ist wütend, denn er hat kein Telefon und
außerdem kein Geld mehr, weshalb ihm nichts anderes übrig bleiben wird, als im
Führerhaus seines Pick-ups zu nächtigen. Nicht einmal zum Duschen reicht es
mehr, und außerdem kostet einmal Duschen inzwischen fünf Dollar, was ein
Vermögen für ein bisschen heißes Wasser ist, wenn man dazu nicht einmal ein
Stück Seife kriegt. Einige Männer tun sich paarweise zusammen, um das Geld zu
sparen, verschwinden hinter einer ungestrichenen Sichtblende am westlichen
Ende des Tankstellenshops, legen Kleidung und Schuhe auf einer Bank hinter dem
Zaun ab und treten dann in die winzige, schlecht beleuchtete Betonkammer, die
nur mit einem einzigen Duschkopf und einem großen rostigen Abfluss mitten auf
dem Boden ausgestattet ist.
    In der Dusche ist es immer feucht. Der Duschkopf
tropft unablässig, und die Armatur quietscht. Die Männer haben Seife, Shampoo,
Zahnbürsten und Zahnpasta, zumeist in einer Plastiktüte, bei sich. Sie bringen
auch ihre eigenen Handtücher mit. Hog hat noch nie dort

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