Defekt
geworden.
Und nun das. Scarpetta hat ihn wegen des
Forschungsprojekts angelogen. Ihn ausgeschlossen. Ihn herabgewürdigt. Sie
nimmt sich, was sie braucht, wenn es ihr in den Kram passt, und behandelt ihn
wie ein Stück Dreck.
„Leider weiß ich auch nicht mehr“, hallt Mrs.
Simisters Stimme durch den Raum. Sie klingt, als wäre sie so alt wie Methusalem.
„Aber ich hoffe wirklich, dass kein Unglück geschehen ist, obwohl ich es fast
befürchte. Die Gleichgültigkeit der Polizei ist skandalös.“
Marino hat keine Ahnung, was Mrs. Simister meint,
wer sie ist oder warum sie die National Forensic Academy anruft. Außerdem wird
er den Gedanken an Doris einfach nicht los. Er wünscht, er hätte mehr getan,
als diesen verdammten Zahnarzt oder Kieferchirurgen zu bedrohen. Er hätte dem
Arschloch die Fresse polieren und ihm vielleicht noch ein paar Finger brechen
sollen.
„Könnten Sie unserem Ermittler Mr. Marino bitte
erklären, was sie mit Gleichgültigkeit der Polizei meinen?“, sagt Scarpetta
ins Telefon.
„Das letzte Lebenszeichen habe ich am vergangenen
Donnerstagabend gesehen, und als ich bemerkte, dass alle spurlos verschwunden
sind, habe ich sofort die Polizei verständigt. Sie haben einen uniformierten
Polizisten geschickt, und der hat dann einen weiblichen Detective gerufen. Die
Frau interessiert sich offenbar nicht für den Fall.“
„Sie sprechen von der Polizei in Hollywood“, stellt
Scarpetta mit einem Blick auf Marino fest.
„Ja, einer gewissen Detective Wagner.“
Marino verdreht die Augen. Das darf doch nicht wahr
sein! Bei all seinem Pech hat ihm so etwas gerade noch gefehlt.
„Reba Wagner etwa?“, fragt er, immer noch in der Tür
stehend.
„Was?“, gibt die Greisinnenstimme zurück.
Marino tritt näher ans Telefon und wiederholt seine
Frage.
„Ich weiß nur, dass die Anfangsbuchstaben ihres
Namens auf dem Dienstausweis R.T. lauten. Also könnte sie Reba heißen.“
Wieder verdreht Marino die Augen und tippt sich an
die Stirn: Detective R.T. Wagner ist nicht gerade eine Intelligenzbestie.
„Sie hat sich im Garten und rund ums Haus umgeschaut
und gesagt, nichts wiese auf ein Verbrechen hin. Ihrer Ansicht nach seien die
Bewohner freiwillig fort, und die Polizei könne da nichts tun.“
„Kennen Sie diese Leute?“, erkundigt sich Marino.
„Ich wohne gleich gegenüber auf der anderen Seite
des Kanals. Und wir gehören zur selben Kirchengemeinde. Ich weiß genau, dass
ihnen etwas zugestoßen ist.“
„Gut“, meint Scarpetta. „Was erwarten Sie jetzt von
uns, Mrs. Simister?“
„Dass Sie sich wenigstens das Haus ansehen. Die
Kirche hat es gemietet, und seit die Bewohner fort sind, ist es verschlossen.
Aber in drei Monaten läuft der Mietvertrag aus, und der Vermieter sagt, er
würde die Kirche ohne Abfindung aus dem Vertrag entlassen, weil er einen
Nachmieter hat. Die Damen von der Kirche wollen gleich morgen früh hin, um
alles zusammenzupacken. Und was passiert dann mit den Indizien?“
„Gut“, wiederholt Scarpetta. „Ich sage Ihnen, was
wir jetzt tun. Wir rufen Detective Wagner an. Ohne Erlaubnis der Polizei dürfen
wir das Haus nämlich nicht betreten. Wir sind nur dazu berechtigt, wenn die
Polizei uns um Hilfe bittet.“
„Ich verstehe. Vielen Dank. Bitte unternehmen Sie
etwas.“
„Also,
Mrs. Simister. Wir melden uns wieder bei
Ihnen. Dazu brauchten wir noch Ihre Telefonnummer.“
„Hmm“, brummt Marino, nachdem Scarpetta aufgelegt
hat. „Bestimmt hat sie eine Schraube locker.“
„Was hältst du davon, Detective Wagner anzurufen, da
du sie ja schon kennst“, schlägt Scarpetta vor.
„Sie war früher bei der Motorradpolizei. Dumm wie
Bohnenstroh, aber konnte prima mit ihrer Road King umgehen. Ich kann es nicht
fassen, dass sie zum Detective befördert worden ist.“
Marino holt sein Treo heraus. Ihm graut davor, Rebas
Stimme zu hören, und er wünscht, er müsste nicht ständig an Doris denken. Er
bittet die Polizeizentrale von Hollywood, Detective Wagner auszurichten, sie
möge sich umgehend mit ihm in Verbindung setzen. Nach dem Anruf blickt er sich
in Scarpettas Büro um, sieht alles an, nur nicht sie, und erinnert sich dabei
an Doris, den zwielichtigen Zahnarzt und den Autoverkäufer. Er denkt an die
Genugtuung, die es ihm bereitet hätte, den Zahnarzt bewusstlos zu prügeln,
anstatt sich zu betrinken, in seine Praxis zu stürmen und ihn in Anwesenheit
eines Wartezimmers voller Patienten aus dem Behandlungsraum zu holen, um ihn
zu fragen, aus
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