Defekt
welchem Grund er die Brüste seiner Frau untersucht habe und was
diese, bitte schön, mit einer Wurzelbehandlung zu tun hätten.
„Marino?“
Warum ihn dieser Zwischenfall nach all den Jahren
noch immer wütend macht, ist ihm ein Rätsel, und er versteht nicht, warum ihm
so viele Dinge plötzlich wieder sauer aufstoßen. Die letzten Wochen waren die
Hölle.
„Marino?“
Er kehrt in die Wirklichkeit zurück, starrt
Scarpetta an und bemerkt gleichzeitig, dass sein Mobiltelefon läutet. „Ja“,
meldet er sich. „Hier spricht Detective Wagner.“
„Ermittler Pete Marino“, erwidert er, als sei er ihr
noch nie begegnet.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Marino?“ Auch sie
hört sich an, als würde sie ihn nicht kennen.
„Soweit ich informiert bin, ist in Ihrem Bezirk in
der Gegend von West Lake eine Familie verschwunden. Und zwar vermutlich seit
Donnerstagnacht.“
„Woher wissen Sie das?“
„Anscheinend macht sich jemand Sorgen, es könnte ein
Verbrechen geschehen sein. Und es heißt, Sie hätten sich nicht sehr
hilfsbereit verhalten.“
„Wenn wir glauben würden, dass da etwas dran ist,
würden wir ermitteln wie die Wilden. Wer hat Ihnen die Sache gemeldet?“
„Eine Dame aus ihrer Kirchengemeinde. Können Sie mir
die Namen der Leute sagen, die angeblich verschwunden sind?“
„Lassen Sie mich überlegen. Die Namen waren
irgendwie merkwürdig. Eva Christian und Crystal oder Christine Christian. Oder so ähnlich. Die Namen der Jungen habe ich vergessen.“
„Könnte einer von ihnen Christian Christian heißen?“
Scarpetta und Marino sehen einander an.
„Hörte sich fast so an. Ich habe meine Notizen nicht
zur Hand. Wenn Sie sich mit der Angelegenheit befassen wollen, tun Sie sich
keinen Zwang an. Meine Dienststelle wird jedenfalls nichts weiter in dieser
Sache unternehmen, solange es absolut keine Hinweise darauf ...“
„Schon verstanden“, fällt Marino ihr grob ins Wort.
„Wenn die Kirche das Haus räumen würde und wir uns zuvor noch darin umsehen
möchten, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.“
„Sie sind noch nicht einmal eine Woche weg, und die
Kirche will schon das Haus räumen? Für mich hört sich das ganz danach an, als
hätten sie sich endgültig aus dem Staub gemacht. Was sagen Sie dazu?“
„Dass wir auf Nummer sicher gehen sollten“, erwidert
Marino.
Der Mann hinter der Theke ist älter und wirkt
würdevoller, als Lucy erwartet hat. Sie hätte mit jemandem gerechnet, der wie
ein ehemaliger Surfer aussieht. Mit ledrig verbrannter Haut und jeder Menge
Tätowierungen. So wie man sich eben jemanden vorstellt, der in einem Laden
namens Beach Bums - Strandläufer - arbeitet.
Sie stellt eine Kameratasche weg und lässt die
Finger rasch über grelle Schlabber-T-Shirts mit aufgedruckten Haien, Palmen und
anderen tropischen Motiven gleiten. Dann betrachtet sie Stapel von Strohhüten,
Wühltische voller Flipflops und Ständer mit Sonnenbrillen und
Sonnencremeflaschen. Eigentlich hat sie nicht vor, irgendetwas zu kaufen, bedauert
das aber fast. Eine Weile kramt sie herum und wartet darauf, dass die beiden anderen
Kunden endlich gehen. Dabei fragt sie sich, wie es wäre, ein ganz gewöhnlicher
Mensch zu sein, der sich für Souvenirs und geschmacklose Strandkleidung
interessiert, seine Tage in der Sonne verbringt und sich halbnackt in einem
Badeanzug wohl fühlt.
„Führen Sie auch eine Creme mit Zinkoxid?“,
erkundigt sich eine Frau bei Larry, der hinter der Theke thront.
Er hat dichtes, weißes Haar und einen ordentlich
gestutzten Bart, ist zweiundsechzig Jahre alt, wurde in Alaska geboren, fährt
einen Jeep, hat nie ein Eigenheim besessen oder ein College besucht und wurde
1957 wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen. Seit
etwa zwei Jahren ist er Geschäftsführer von Beach Bums.
„Das ist inzwischen nicht mehr sehr beliebt“,
erklärt er der Kundin.
„Ich mag es aber. Davon bekomme ich nämlich keinen
Ausschlag wie von den anderen Lotionen. Ich glaube, ich bin allergisch gegen
Aloe.“
„Diese Sonnencremes enthalten keine Aloe.“
„Führen Sie Maui Jim's?“
„Zu teuer, meine Liebe. Wir haben nur die
Sonnenbrillen, die Sie hier sehen.“
So geht es eine Weile weiter, bis die beiden
Kundinnen eine Kleinigkeit erwerben und sich verabschieden. Lucy schlendert zur
Theke.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt Larry und mustert
Lucys Kleidung. „Wo kommen Sie denn her? Von Drehaufnahmen zu Mission Impossible?“
„Ich bin
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