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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Jahr nicht über sein Mikroskop hinausgeschaut. Er kann das,
worüber er schreibt, nicht selbst erlebt haben. Das ist einfach unmöglich.
Bestimmt liegt es an dem Zwischenfall im Verwesungslabor. Du hättest
wenigstens ehrlich sein können.“
    „Du hast Recht“, antwortet sie. „Ich hätte dir sagen
müssen, dass ich danach aufgehört habe, deine Horror-Szenen zu lesen.
Allerdings war ich nicht die Einzige. Ich hätte mich mit dir zusammensetzen und
dir alles erklären sollen. Aber du warst so wütend und streitlustig, dass sich
niemand mit dir anlegen wollte.“
    „Wenn du so reingelegt worden wärst wie ich, wärst
du auch wütend und streitlustig gewesen.“
    „Joe war weder im Verwesungslabor noch überhaupt in
Knoxville, als es passiert ist“, erinnert sie ihn. „Also erklär mir bitte, wie
er einem Toten ein Spritzbesteck in die Jackentasche hätte schmuggeln sollen.“
    „Bei dieser Praxisübung ging es darum, die
Lehrgangsteilnehmer mit einer echten Leiche zu konfrontieren, die im Verwesungslabor
vor sich hin moderte, um zu sehen, ob sie es schaffen, ihren Ekel zu überwinden
und Beweismittel sicherzustellen. Eine schmutzige Spritze gehörte nicht dazu.
Das hat Joe eingefädelt, um mir eins auszuwischen.“
    „Die ganze Welt hat es auf dich abgesehen.“
    „Wenn er es nicht war, warum hat die Kleine ihre
Klage dann nicht durchgezogen? Weil alles nur Theater war. Die verdammte Nadel
war weder mit Aids infiziert noch überhaupt je benutzt worden. Da ist dem
Arschloch offenbar eine kleine Panne unterlaufen.“
    Scarpetta steht auf.
    „Viel wichtiger ist die Frage, was ich weiter mit
dir machen soll“, sagt sie und schließt ihren Aktenkoffer ab.
    „Du tust, als wäre ich hier der Geheimniskrämer“,
sagt er und sieht sie an.
    „Du hast jede Menge Geheimnisse. Ich weiß nie, wo du
bist oder was du gerade so treibst.“
    Scarpetta nimmt ihre Kostümjacke von dem Haken an
der Tür. Marino betrachtet sie weiter mit durchdringendem Blick. Seine Finger
hören auf zu klopfen, und das Leder knirscht, als er sich aus dem Sessel hievt.
    „Benton muss sich vorkommen wie der Größte, weil er
mit all diesen Harvard-Typen zusammenarbeiten darf“, sagt er, und zwar nicht
zum ersten Mal. „Den Schlaumeiern mit den vielen Geheimnissen.“
    Die Hand am Türknauf, starrt sie ihn an. Vielleicht
leidet sie ja auch schon an Verfolgungswahn.
    „Ja, ist bestimmt aufregend, was er da macht. Aber
wenn du mich fragst, gebe ich dir den guten Rat, nicht deine Zeit damit zu
verschwenden.“
    Er kann unmöglich auf BESTIE anspielen.
    „Von der Geldverschwendung ganz zu schweigen. Die
Kohle könnte man bestimmt besser investieren. Ich persönlich kann den Gedanken
einfach nicht ertragen, dass jemand so viel Zeit und Geld in solche
Dreckschweine steckt.“
    Niemand mit Ausnahme der Forschungsgruppe, des Krankenhausdirektors,
der Finanzverwaltung der Universität und einigen wichtigen Mitarbeitern der
Strafvollzugsbehörden darf von BESTIE wissen. Nicht einmal die normalen
Testpersonen kennen den Namen der Studie oder ahnen, womit sie sich befasst.
Also müsste Marino eigentlich auch im Dunkeln tappen, sofern er sich nicht
Zugriff zu ihren E-Mails oder den in verschlossenen Schubladen aufbewahrten
Ausdrucken verschafft hat. Zum ersten Mal hat Scarpetta den Verdacht, dass
vielleicht er es ist, der gegen die Geheimhaltungspflicht verstößt. „Wovon
redest du?“, fragt sie leise.
    „Vielleicht solltest du beim Verschicken von Dateien
vorsichtiger sein und dich vergewissern, dass auch wirklich kein Anhang dabei
ist“, erwidert er.
    „Was für Dateien?“
    „Die Notizen, die du dir nach deinem ersten Gespräch
mit dem reizenden Dave über den Tod des geschüttelten Babys gemacht hast, den
er unbedingt als Unfall hinstellen will.“
    „Ich habe dir keine Notizen geschickt.“
    „Natürlich hast du! Und zwar am vergangenen Freitag.
Ich habe die Mail erst geöffnet, nachdem wir uns am Sonntag getroffen hatten.
Die Notizen hingen zufällig an einer E-Mail von dir an Benton, und die war ganz
bestimmt nicht für mich bestimmt.“
    „Ich habe dir nie etwas geschickt“, beharrt sie, und
ihre Besorgnis wächst. „Wirklich nicht.“
    „Vielleicht nicht mit Absicht. Komisch, wie jede
Lüge irgendwann doch ans Licht kommt“, meint er, während es leise an der Tür
klopft.
    „Hast du mich deshalb am Sonntagabend versetzt? Bist
du aus diesem Grund gestern Vormittag nicht zu der Besprechung mit

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