Defekt
verblasst
dann wieder. Sie sprüht in großen Bögen weiter und benetzt Teile des Bodens,
der hell aufleuchtet, als stünde er in neongrünen Flammen.
„Gütiger Himmel!“, ruft Lucy und betätigt die
Kamera, während Scarpetta weitersprüht. „So was habe ich noch nie gesehen.“
Das blaugrüne Leuchten flammt auf und verblasst in
gespenstischem Gleichtakt mit den Sprühbewegungen. Als nach dem letzten
Sprühstoß alles verloschen ist, macht Lucy Licht, und dann nehmen die beiden
den Betonboden gründlich unter die Lupe.
„Ich sehe nichts als Dreck“, brummt Lucy mürrisch.
„Am besten fegen wir zusammen, bevor wir noch mehr
darauf herumtrampeln.“
„Mist!“, ärgert sich Lucy. „Warum haben wir es nicht
zuerst mit dem MCS versucht?“
„Das ließe sich nachholen“, meint Scarpetta.
Mit einem sauberen Pinsel fegt Lucy Schmutz vom
Boden in einen Asservatenbeutel aus Plastik und richtet dann Kamera und Stativ
neu ein. Anschließend macht sie weitere Umgebungsfotos von den Holzregalen und
löscht erneut das Licht. Diesmal reagiert das Luminol anders. Fleckige Stellen
leuchten elektrisch-blau auf, und Funken tanzen. Die Kamera klickt und klickt,
während Scarpetta sprüht. Die blauen Lichter pulsieren rasch und verblassen
viel schneller, als es bei Blut oder anderen Substanzen, die auf
Chemolumineszenz ansprechen, üblich ist.
„Bleiche“, sagt Lucy. Es gibt einige Stoffe, die ein
falsches positives Ergebnis auslösen. Bleiche ist der häufigste und ziemlich
unverkennbar.
„Etwas mit einem anderen Spektrum, aber eindeutig
ähnlich wie Bleiche“, stellt Scarpetta fest. „Irgendein x-beliebiges Putzmittel,
das Bleiche auf Hypochloritbasis enthält: Clorox, Drano, Fantastic, The Works,
Babo Cleanser, alles handelsübliche Marken. Es würde mich nicht wundern, wenn
wir hier hinten eine Flasche von dem Zeug finden.“
„Bist du fertig?“
„Weiter.“
Das Licht geht an, und die beiden müssen blinzeln,
als ihnen der grelle Schein der Glühbirne in die Augen fällt.
„Basil hat Benton erzählt, er hätte mit Bleiche
geputzt“, sagt Lucy. „Aber nach zweieinhalb Jahren kann es da doch keine Reaktion
mit Luminol mehr geben, oder?“
„Vielleicht ist das Putzmittel ja ins Holz
eingesickert, und es wurde nicht mehr nachgewischt. Mit Betonung auf vielleicht, denn ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen und weiß
nicht, ob so etwas schon einmal getestet wurde.“ Scarpetta holt ein
beleuchtetes Vergrößerungsglas aus der Tasche.
Sie lässt es über die Kante des Pressspanbretts
gleiten, auf dem sich Schnorchelausrüstung und T-Shirts türmen.
„Wenn man genau hinschaut“, sagt sie, „kann man
erkennen, dass das Holz an einigen Stellen eine winzige Spur heller ist.
Möglicherweise Spritzer.“
Lucy tritt näher und greift nach dem
Vergrößerungsglas.
„Ich glaube, ich sehe, was du meinst.“
Heute ist er gekommen und wieder gegangen, ohne sich
um sie zu kümmern. Er hat ihr nur ein überbackenes Käsesandwich und Wasser
gebracht. Offenbar wohnt er nicht hier. Nachts ist er anscheinend nie im Haus.
Wenn doch, muss er so still wie ein Toter sein.
Es ist schon spät, allerdings weiß sie nicht, wie
viel Uhr es ist, und der Mond auf der anderen Seite des zerborstenen Fensters
ist hinter den Wolken gefangen. Ihr Puls wird schneller, als sich seine Füße in
ihre Richtung bewegen, und sie stopft rasch den kleinen rosafarbenen
Tennisschuh hinter die Matratze. Sie ist sicher, dass er ihr den Schuh
wegnehmen wird, wenn er merkt, dass er ihr etwas bedeutet. Und dann ist er da,
ein dunkler Schatten, begleitet von einem langen Lichtstrahl. Er hat die
Spinne bei sich. Das Insekt bedeckt seine Hand. Es ist die größte Spinne, die
sie je gesehen hat.
Sie lauscht auf Geräusche von Kristin und den
Jungen, während das Licht über ihre wunden, geschwollenen Knöchel und
Handgelenke gleitet. Er betastet die schmutzige Matratze und das fleckige,
hellgrüne Gewand, das über die untere Hälfte ihrer Beine gebreitet ist. Sie
zieht Arme und Knie an und versucht, sich zu bedecken, als das Licht über
intime Stellen ihres Körpers gleitet, und sie weicht zurück, denn sie spürt,
wie er sie anstarrt. Sie kann sein Gesicht nicht erkennen und hat keine Ahnung,
wie er aussieht. Tagsüber verbirgt er sein Gesicht unter der Kapuze, und er
trägt Schwarz, immer Schwarz. Nachts kann sie ihn gar nicht sehen, nur seine
Umrisse. Er hat ihr die Brille weggenommen.
Das war seine erste Tat, als er in ihr
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