Deichgrab
ein kleiner runder Tisch, abgewetzte Polsterstühle.
»Ich komme, ich komme ja schon!«, hörte er eine Stimme aus dem Hinterzimmer rufen.
Gleich darauf erschien ein kleiner, schmaler Mann im dunklen Anzug. Seine wenigen Haare hatte er vermutlich mit Pomade adrett um seinen Kopf gekämmt. Er trug eine kleine Nickelbrille. Tom war etwas überrascht. Herr Schmidt wirkte etwas lächerlich, überhaupt nicht wie die Makler, die er kannte. Seine Augen leuchteten jedoch hell und blickten Tom erwartungsvoll an.
Als er sich vorgestellt hatte, blieb das Gesicht von Herrn Schmidt wider Erwarten freundlich.
Es gäbe da einen Interessenten, teilte er sogleich mit. Überrascht blickte Tom ihn an. Wie konnte das denn sein? Eigentlich hatte er eher damit gerechnet, dass sich das Haus nur schwer verkaufen lassen würde. Wer wollte schon in das Haus eines vermeintlichen Mörders ziehen?
Herr Schmidt blickte auf seine Armbanduhr.
»Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen die Einzelheiten bei einem Mittagessen erzähle? Hier um die Ecke gibt es einen vorzüglichen Mittagstisch.«
Tom nickte nur stumm.
Sie gingen zurück zur Dorfstraße und dann hinunter bis zur Kreuzung. Der Gasthof lag direkt an der Bundesstraße.
In der Gaststube war um diese Zeit wenig los. Herr Schmidt rief beim Betreten quer durch den Raum: »Hallo Fritz, hast du noch einen Tisch frei?«
»Immer doch!«, tönte es vom Tresen zurück.
Herr Schmidt steuerte zielstrebig auf einen Tisch am Fenster zu. Sie hatten sich kaum hingesetzt, da erschien auch schon der Mann vom Tresen. Eine Karte hatte er nicht dabei.
»Na Horst, wen hast du denn heute mitgebracht?«
Tom fühlte, wie Ärger in ihm aufstieg. Wenn er seinen Namen wissen wollte, sollte er ihn doch direkt fragen. Noch bevor er etwas sagen konnte, antwortete Herr Schmidt:
»Das ist Tom Meissner, der Neffe von Hannes.«
Das Gesicht des Wirtes verfinsterte sich. Das freund-liche Lächeln sowie seine zuvorkommende Art waren wie weggeblasen. Kurz und knapp fragte er:
»Zweimal Mittagstisch und zwei Bier?«
Herr Schmidt nickte. Als der Wirt verschwunden war, schüttelte er seinen Kopf. Dabei löste sich eine kleine Haarsträhne aus der sorgfältig gekämmten Frisur und kringelte sich hinter seinem linken Ohr wie ein kleiner Schweineschwanz.
»Hab ich mir fast gedacht, dass er so reagiert.«
»Viele tun das.«
»Bei ihm war das klar. Aber eigentlich ist das ja Schnee von gestern.«
Der Mann machte eine abfällige Handbewegung.
»Sie müssen wissen, ich selbst bin auch nur ein Zugezogener und habe zu der Zeit, als Britta verschwand, gar nicht hier gewohnt. Aber als ich 1971 ins Dorf gezogen bin, war die ganze Sache noch so präsent, als wäre sie gerade erst passiert.«
Der Wirt brachte das Bier. Widerwillig stellte er die Gläser auf den Tisch und verschwand ohne ein weiteres Wort.
»Sie sehen es ja selbst, die Leute hier sind manchmal etwas merkwürdig. Das musste ich leider selbst auch erfahren. Es war damals nicht immer einfach für mich. Man hat hier meist eine voreingenommene Meinung. Und die ändert sich in den allerwenigsten Fällen.«
Tom nickte. Diese Tatsache hatte er schon als Kind zu spüren bekommen, nur dass er damals die Zusammenhänge nicht verstanden hatte.
Der Wirt brachte bereits das Essen: Kassler mit Sauerkraut und Kartoffeln. Aus seiner Schürze holte er das Besteck und legte es wortlos auf den Tisch.
»Bei ihm kann ich es ja noch verstehen. Britta war schließlich seine Nichte. Seine Schwester ist über den Verlust nie hinweggekommen. Seit damals hängt sie an der Flasche.«
Das Fleisch schmeckte zäh und die Kartoffeln mehlig. Trotzdem schlang Tom das Essen geradezu hinunter. Die Biergläser waren schon lange leer, der Wirt ignorierte das offensichtlich.
Herr Schmidt aß langsam, ihm schien es zu schmecken. Als er endlich den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, lehnte er sich zurück. Tom wartete auf weitere Ausführungen über Hannes, aber das Thema schien erledigt zu sein.
»Also, wie gesagt, ich hätte da schon einen Interessenten für das Haus. Muss nur mal in meiner Kartei nachschauen.«
Herr Schmidt fuhr sich mit der Hand über den Mund und rief, dass sie gerne noch zwei Kaffee hätten.
»Es ist nämlich so«, fuhr er fort »dass der Herr sich noch zu Lebzeiten Ihres Onkels für das Haus interessiert hat. Sehr sogar! Er hat viel Geld geboten. Wer weiß, was für verborgene Schätze auf dem Grundstück vergraben sind«, schmunzelte er. Die Haarsträhne hinter
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