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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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Absender gerne persönlich über das Ableben meines Onkels informieren.«
    Der Ton, in dem er seine Forderung geäußert hatte, ließ keine Widerrede zu.
    »Das kann aber dauern. Lassen Sie mir Ihre Telefonnummer da. Ich rufe Sie an, sobald die Daten vorliegen.«
    Er reichte ihm einen Kugelschreiber und einen kleinen Notizzettel, auf den Tom seinen Namen und seine Handynummer schrieb. Dann erhob sich Herr Simons und machte damit deutlich, dass für ihn das Gespräch beendet war.
    »Der Schlüssel ist übrigens nicht von uns. Wir haben überhaupt keine Schließfächer. Rentiert sich nicht hier auf dem Land.«
    Als Tom das Hinterzimmer verließ, fiel ihm ein, dass er sich auch gleich nach einem Makler für den Hausverkauf erkundigen konnte. Er trat vor einen der Schreibtische und trug sein Anliegen einem schmächtigen, blonden Jüngling mit Schnauzbart vor.
    »Da ist Herr Schmidt für Sie der richtige Mann«, antwortete ihm dieser. »Sein Büro finden Sie gleich hier in der Nähe, auf der anderen Seite der B 5. Vor der Schule biegen Sie links ab und dann gleich wieder links. Sie können es gar nicht verfehlen.«

9
    Frieda frühstückte gerade in ihrer kleinen Küche, als das Telefon klingelte. Es war ihre Schwester, die sich zunächst nach Lorentz und anschließend nach Friedas Wohlbefinden erkundigte. Kaum setzte Frieda jedoch zu einer ausführlichen Antwort an, fiel ihre Schwester ihr ins Wort.
    Überschwänglich berichtete sie von einem Anruf ihrer Tochter, und dass diese für morgen ihren Besuch angekündigt hatte.
    ›Aha‹, dachte Frieda, ›deshalb ruft sie an.‹
    Sie hörte sich eine Zeit lang die Schwärmereien ihrer Schwester über deren Tochter an, wünschte ihr dann viel Spaß, trug Grüße auf und legte anschließend auf.
    Der Kaffee war kalt. Sie schüttete ihn ins Spülbecken, deckte den Tisch ab. Sie fühlte sich müde und ausgebrannt. Langsam schleppte sie sich ins Wohnzimmer und holte das alte Familienalbum aus dem Schrank. Die Fotos zeigten sie und Lorentz zu verschiedenen Zeiten ihres gemeinsamen Lebens. Verlobung, Hochzeit, Hausbau.
    Der Kindersegen war bei ihnen ausgeblieben, trotz ausgiebiger Bemühungen. Frieda hatte damals einen Arzt nach dem anderen aufgesucht. Lorentz hatte sich geweigert, eine Untersuchung durchführen zu lassen. Er hatte immer nur gesagt: »An mi kann dat nich legen!«
    Heute wusste sie, dass er recht gehabt hatte. Aber sie waren auch ohne Kinder glücklich gewesen. Frieda hatte den Neid auf ihre Schwester, die ein Kind nach dem anderen zur Welt brachte, hinuntergeschluckt. Heute wünschte sie sich, wenigstens eine Tochter oder einen Sohn zu haben. Sie fühlte sich einsam. Lorentz verabschiedete sich jeden Tag ein klein wenig mehr aus ihrem Leben. Es war ein Abschied auf Raten. Frieda wusste nicht, wie lange sie noch die Kraft haben würde, ihn dabei zu begleiten. Es war so schwer, ihn jeden Tag mehr zu verlieren. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass Lorentz in ein Spezialheim müsste. Doch das wollte sie nicht. Das Heim war über zweihundert Kilometer entfernt. Wie sollte sie ihn da besuchen?
    Am meisten Angst hatte sie vor dem Tag, an dem Lo-rentz sie nicht mehr erkennen würde. Dr. Roloff hatte es bereits angedeutet und versucht, sie darauf vorzubereiten. Aber wie sollte sie verstehen, dass der Mann, mit dem sie über fünfunddreißig Jahre lang alles geteilt hatte, nicht mehr wusste, wer sie war?
    Frieda strich mit ihren Fingern über die Fotografie, die Lorentz als Großaufnahme beim Bozzeln am See zeigte. Stolz hielt er seine Kugel hoch, lachte fröhlich in die Kamera. Eine Träne tropfte auf das Foto. Frieda wischte schnell mit einem Taschentuch über das Bild, schnäuzte sich dann die Nase. Sie klappte das Album zu, packte es in ihren braunen Nylonbeutel.

     
    Draußen kämpfte die Sonne gegen die dichten Wolken, doch noch hatte sie nicht gewonnen.
    Auf der Straße war wenig los, es war schon beinahe Mittagszeit und Tom fragte sich, ob er Herrn Schmidt überhaupt noch antreffen würde. Wahrscheinlich machte er, wie die meisten anderen hier im Dorf, ebenfalls eine ausgiebige Mittagspause.
    An der Tür jedoch hing ein Schild, dem Tom entnahm, dass das Büro geöffnet war. Vor den Fenstern hingen leicht vergilbte Lamellen, einige vertrocknete Topfpflanzen standen auf der Fensterbank.
    Er öffnete die Tür. Eine Glocke ertönte. Tom trat ins Halbdunkel des Raumes. Es roch nach einer Mischung aus Zigarettenrauch und Lufterfrischer. Das Büro war spärlich eingerichtet,

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