Deichgrab
dem linken Ohr hüpfte dabei wie eine Spiralfeder leicht auf und ab.
Der Wirt brachte den Kaffee. Die Rechnung hatte er auch gleich dabei.
»Schreib’s auf Fritz, ich lad’ den Tom ein.«
Tom wusste nicht so recht, wie er das Gespräch noch einmal auf Onkel Hannes lenken sollte. Er hätte gerne noch einiges erfahren. Über den Hausverkauf hingegen wollte er nicht weiter sprechen. Irgendwie ging ihm das plötzlich doch alles zu schnell.
Schon drückte Herr Schmidt jedoch seine Zigarette aus und stand auf. Als sie den Gastraum verließen, rief er: »Tschüss Fritz, bis morgen!«
Auf dem Heimweg hielt Tom beim Sparladen. Die abfälligen Blicke der Kassiererin trafen ihn, als er zwei Flaschen Korn auf das Laufband legte.
Nach dem Mittagessen legte Broder sich hin. Es ging ihm nicht besonders gut. Er hatte wenig geschlafen und irgendwie schlug ihm die ganze Sache auf den Magen. Die endlosen Telefonate, das überzogene Betriebskonto und dann der von Klaus verschwiegene Drohbrief. Broder schloss die Augen, in seinem Kopf dröhnte es laut.
Frank war heute Mittag wieder nicht da gewesen. Meike hatte keine Ahnung gehabt, wo er steckte. So konnte es nicht weitergehen. Er ruinierte den Hof. Und seine Ehe. Meike hatte ständig verweinte Augen. Auch wenn sie es verbergen wollte und sich kräftig schminkte, Broder sah es doch. Und er wusste auch, dass sie sich stundenlang im Bad einschloss. Nur warum wusste er nicht. Vielleicht hatte Frank eine andere? Vorstellen konnte Broder sich das eigentlich nicht. ›Aber wer weiß schon so genau, was in Frank vor sich geht‹, dachte er. ›Es wird Zeit, dass ich ihn zur Rede stelle.‹
Broders Augenlider wurden schwer, er schlief ein. Im Traum stand er auf dem Deich. Es stürmte und das Meer hatte sich in ein tobendes Ungeheuer verwandelt. Die Wellen peitschten gegen den Deich. Der Wind war so stark, Broder konnte sich kaum auf dem Deich halten. In der Ferne sah er einige Männer näherkommen. Sie riefen ihm etwas zu, aber Broder konnte sie nicht verstehen. Der Boden unter seinen Füßen vibrierte. Die Wellen schlugen immer höher, plötzlich brach die Erde unter seinen Füßen auf. Er blickte in eine tiefe, klaffende Spalte. Dann taumelte er und stürzte. Mit einem lauten Gepolter fiel er vom Sofa. Die Tür wurde aufgerissen.
»Vater, was ist denn passiert?«
Meike stand im Türrahmen, sah Broder leicht verdreht auf dem Boden liegen. Sie eilte zum Sofa, kniete sich neben ihn. Vorsichtig versuchte sie ihm aufzuhelfen. Broder stöhnte. Schließlich gelang es ihm mit Meikes Hilfe sich aufzurappeln und aufs Sofa zu setzen.
»Du bist ja ganz nass geschwitzt.«
Sie beeilte sich aus der Küche ein Glas Wasser zu holen, hielt es Broder hin. Er trank einige Schlucke.
»Danke«, murmelte er.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er geträumt hatte.
»Soll ich den Arzt holen?«
Meike war besorgt. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Wie ein Häufchen Elend saß er auf dem alten Sofa, die Haare klebten nass an seinem Kopf. Aus Leibeskräften hatte sie ihn schreien gehört.
»Geht schon wieder.«
Als Frieda im Pflegeheim ankam, war die Essensausgabe schon in vollem Gange. Kartoffelpüree mit Bratwurst und Rotkohl standen heute auf dem Speiseplan.
Frieda zog ihren Mantel aus, setzte sich zu Lorentz ans Bett. Er wirkte abwesend, aber nicht so durcheinander und unruhig wie gestern. Als er Frieda erkannte, lächelte er sogar. Sie schnitt die Bratwurst klein, fütterte Lorentz mit einem Löffel. Immer wieder reichte sie ihm die Schnabeltasse mit Tee, damit er das Essen besser schlucken konnte.
Danach las sie ihm aus der Zeitung vor. Sport hatte ihn schon immer interessiert, doch schon nach wenigen Sätzen schlief er ein. Frieda merkte es erst, als sie sein vertrautes Schnarchen hörte. Sie betrachtete ihn einen Augenblick. Sein schmales Gesicht, das sich farblich kaum von der weißen Bettwäsche unterschied, sah so friedlich aus. Leise schlich sie sich aus dem Zimmer.
Im Garten des Pflegeheims setzte Frieda sich auf die kleine Holzbank. Das machte sie fast täglich. Jede Blume, jeder Strauch erschienen ihr mittlerweile so vertraut.
Sie hielt den Kopf in die Sonne und genoss die Wärme. Als sie die Schritte auf dem Kiesweg hörte, blickte sie auf. Frau Steinke, eine der Pflegerinnen, kam auf sie zu. In der Hand hielt sie ein in Butterbrotpapier geschlagenes Stück Kuchen.
»Für Sie, Frau Mommsen!«
Die Pflegerin setzte sich zu ihr auf die Bank und erzählte das Neueste aus dem
Weitere Kostenlose Bücher