Deichgrab
unschlüssig, wohin er gehen sollte. Nach Hause jedenfalls nicht. Die verweinten Augen von Meike konnte er jetzt auf gar keinen Fall ertragen. Und sein Vater würde wieder um ihn herumschleichen und nervige Fragen stellen. Fragen, die Frank ihm nicht beantworten konnte. Wenn er allerdings nicht schleunigst eine Lösung für das überzogene Konto fand, würde er sich noch ganz andere Fragen gefallen lassen müssen. Zum Beispiel vom Knecht, warum sein Lohn nicht pünktlich ausgezahlt wurde. Oder von Meike, warum sie kein Haushaltsgeld bekam. Gut, da konnte er sich ja noch was einfallen lassen. Für Meike würde er sich schon noch eine Ausrede überlegen. Und der Knecht? Na ja, vielleicht würde der sich ja hinhalten lassen. Von wegen schlechte Umsätze, hohe Reparaturkosten.
Bei Hannes Friedrichsen hatte das schließlich auch geklappt. Jedenfalls zuerst. Frank verstand sowieso nicht, woher Hannes Friedrichsen irgendwann mal soviel Geld gehabt haben sollte, dass er ausgerechnet seinem Vater einen Kredit hatte geben können. Langsam hätte der Betrag ja auch mal zurückgezahlt sein müssen. Schließlich hatte Hannes jahrelang kassiert. Den ersten Monat hatte Hannes sich noch besänftigen lassen. Frank hatte ihm von einem finanziellen Engpass erzählt. Das war noch nicht mal gelogen.
Als Hannes den zweiten Monat kein Geld bekommen hatte, wurde er langsam ungehalten. Sein Vater könne sich warm anziehen, hatte er gesagt. Frank hatte versprochen, im April drei Raten und noch 500 DM extra zu zahlen. Angeblich aus anderweitigen Außenständen, die er im April erwartete. Hannes hatte sich noch einmal beruhigen lassen, gleichzeitig aber geäußert, dass Frank seinem Vater schon mal ausrichten sollte, dass er bei Nichteinhaltung des Versprechens seines Lebens nicht mehr froh werden würde. Er hatte seinem Vater natürlich nichts gesagt. Und nun, wo Hannes tot war, hatte sich das Problem ja sowieso erledigt.
Frank zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Zweihundert DM steckten in dem hinteren Geldscheinfach. ›Das sollte reichen‹, dachte er und ging los.
Vorsichtig drückte Tom den schwarzen Klingelknopf. Augenblicklich ertönte ein schriller Ton im Inneren des Hauses. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Eine schmale Frau mit braunen Haaren und einer Küchenschürze bekleidet blickte ihn fragend an.
»Ist Haie da?«, fragte er etwas unsicher.
Sie nickte, trat einen Schritt zur Seite und rief über ihre Schulter hinweg:
»Haie, Besuch für dich!«
Dann verschwand sie und ein überraschter Haie erschien an der Tür.
»Ich hab da einiges zu erklären.«
Er zog vorsichtig die Flasche Korn hinter seinem Rücken hervor. Haie grinste und trat zur Seite.
»Na, dann mal rein in die gute Stube!«
Im Flur war es leicht schummrig. Aus der Küche duftete es köstlich nach Gebratenem.
»Elke, wir haben noch einen Gast. Deck’ einen Teller mehr auf!«
»Ich will aber keine Umstände machen.«
Haie winkte ab und führte ihn ins Wohnzimmer. Er wies auf das beige Sofa und nahm selbst in einem kleinen Sessel Platz.
»So, dann mal raus mit der Sprache!«
Tom rutschte etwas nervös auf dem Sofa hin und her, wusste nicht so recht, wie er anfangen sollte. Auf dem Weg hierher hatte er sich immer neue Sätze zurechtgelegt, aber jetzt wollte ihm partout keiner mehr einfallen. Haie bemerkte seine Unsicherheit und holte zwei Schnapsgläser aus dem Schrank.
»Na, dann genehmigen wir uns halt erst mal einen.«
Er schenkte die Gläser ein und prostete Tom kurz zu.
»Tja, ich weiß nicht wie ich anfangen soll«, stammelte der etwas verlegen, nachdem er sein Glas geleert hatte. »Ich war gestern nicht ganz ehrlich. Ich bin nämlich nicht zu Besuch hier im Dorf, und ich überlege auch nicht, hierher zu ziehen. Um ehrlich zu sein, ich bin der Neffe von Hannes Friedrichsen.«
Etwas zögernd hob er seinen Blick und schaute Haie direkt in die Augen. Der Ausdruck darin war nach wie vor freundlich. Er war erleichtert.
»Weißt du, die Leute hier im Dorf sind immer gleich so abweisend, wenn ich erzähle, wer ich bin. Und da du gestern Abend so nett warst, habe ich nicht gleich die ganze Wahrheit erzählt. Ich hatte einfach Angst, dass du auch so abweisend reagierst, wie alle anderen.«
»Aber ich habe dir doch erzählt, dass ich Hannes nicht für den Täter halte.«
»Ja, deswegen bin ich hier. Du bist bisher der Einzige, der nicht glaubt, dass mein Onkel ein Mörder war.«
»Essen ist fertig!«, tönte es aus der Küche.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher