Deichgrab
ausweichen.«
Besser er sagte ihr nicht, dass er jeden ADAC-Schleuderkurs mit Bravour bestanden hatte, aber heute leider mit seinen Gedanken nicht auf der B 5, sondern schon auf Sylt gewesen war. Er lächelte zurück. In der Ferne war bereits die Sirene eines herannahenden Polizeiwagens zu hören.
Nur wenige Augenblicke später hielt das Polizeiauto auf dem Grünstreifen neben Toms Wagen.
»Na, das ist ja eine schöne Bescherung! Hauptwachtmeister Schneider«, stellte sich der Polizeibeamte vor.
Der Polizist nahm die Personalien auf, rief dann einen befreundeten Jäger an.
»Im Grunde genommen ist es gar nicht so schlimm«, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte.
»Der Wildbestand in der Gegend ist sowieso viel zu hoch. So gesehen haben Sie dem Jäger sogar eine Kugel gespart.«
Er lächelte. Tom fand die ganze Angelegenheit überhaupt nicht witzig. Sein Mietwagen sah ziemlich beschädigt aus. Außerdem hatte er wieder höllische Kopfschmerzen.
Der Polizist war mit seinen Ermittlungen inzwischen fertig. Mit hochgekrempelten Hemdsärmeln hatte er das Reh von der Fahrbahn auf den Grünstreifen geschleift. Er drückte Tom und Marlene Schumann jeweils einen Zettel mit seinen Notizen in die Hand, verabschiedete sich und verschwand. Tom und Marlene blickten sich an.
»Darf ich Sie für Ihre Hilfe auf einen Kaffee einladen?«, fragte Tom.
Als er den Zündschlüssel herumdrehte, zitterte seine Hand. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, dann gab er Gas, bog nach links von der B 5 ab und nahm die kleinere Straße, die in den Ort führte. Im Rückspiegel sah er, dass Marlene ihm folgte. Direkt an der Dorfstraße befand sich ein Café.
Außer ihnen waren keine Gäste anwesend, die Kaffeezeit war längst vorbei. Trotzdem setzten sie sich an einen der runden Tische und bestellten jeder eine Tasse Kaffee und einen Cognac.
»Da haben Sie aber noch einmal Glück gehabt. Das hätte auch schlimmer ausgehen können.«
Tom nickte.
»Das stimmt. Aber ich habe das Reh wirklich nicht gesehen. Nur plötzlich einen dunklen Schatten und dann krachte es auch schon.«
Er blickte in Marlenes mitfühlende, tiefblaue Augen und entdeckte Anteilnahme und Interesse.
»Was verschlägt Sie in diese Gegend? Sie kommen aus Hamburg?«
»Ich komme gerade von Sylt. Ich schreibe zurzeit an meiner Doktorarbeit und habe dort einiges recherchiert.«
»Worüber?«
»Theodor Storm. Ich schreibe über seine Arbeiten, die er auf und über Sylt verfasst hat. Da kann ein Besuch des Tatortes sehr hilfreich sein.« Sie lächelte.
»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete Tom. »Noch einmal schauert leise und schweiget dann der Wind; vernehmlich werden Stimmen, die über der Tiefe sind.«
»Sie kennen ›Meeresstrand‹?«
»Ich war zufällig heute im Storm-Museum in Husum.«
»Und, hat es Ihnen gefallen?«
»Es war sehr interessant. Ich mag Theodor Storm, vor allem den ›Schimmelreiter‹.«
»Aber Sie sind nicht von hier, oder?«
»Ich habe nur einige Jahre meiner Kindheit hier verbracht.«
»Das prägt«, stellte Marlene fest.
Tom empfand es sehr angenehm, mit der jungen Frau zu plaudern. Sie erzählte ihm von ihrer Doktorarbeit. Das Heimatmotiv faszinierte sie am meisten in Theodor Storms Arbeiten. Die Zeit verging wie im Flug. Als Tom auf die Uhr blickte, waren bereits zwei Stunden vergangen.
Später wusste Tom nicht so recht, wie er sich verabschieden sollte. Sie schauten sich an und tauschten ihre Handynummern aus, dann reichte er ihr zum Abschied die Hand.
»Ich danke Ihnen.«
»Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen. Auch wenn die Umstände erfreulicher hätten sein können.«
Frank saß am Computer und surfte im Internet. Er hatte schon mehrere Webseiten von Kreditinstituten aufgerufen, die mit niedrigen Zinssätzen warben. Leider waren das nur Kredite, die an Privatpersonen vergeben wurden. Für ihn, als Landwirt mit einem Einkommen aus selbstständiger Arbeit, gab es da keine Chance.
Inzwischen hatte er die Suche aufgegeben und beschäftigte sich mit einem Computerspiel. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch an die Decke. Meike öffnete leise die Tür.
»Frank? Ich muss mit dir reden.«
Sie kam näher, legte ihre Hand auf seine Schulter. Als sie sah, das Frank spielte, atmete sie tief durch. Frank drehte sich nur flüchtig um, zu sehr nahm ihn das Spiel gefangen.
»Jetzt nicht, Meike. Ich habe zu tun.«
»Es ist aber wichtig.«
Frank machte immer noch keine Anstalten, seiner Frau
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