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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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hatten nachgelassen. Trotzdem ging sie heute nicht in die Kirche. Sie hatte keine Lust auf die mitleidigen Fragen nach Lorentz’ Befinden.
    Sie setzte sich an den Küchentisch und zündete ein Streichholz an. Als die Flamme gelb aufloderte, entzündete sie die kleine Schwarz-Weiß-Fotografie. Das Papier schmolz zusammen. Sie ließ es auf einen kleinen Unterteller fallen, stand auf und holte die Zeitungsausschnitte.
    Sie verbrannte alles, was sie auch nur im Entferntesten daran erinnerte, dass ihr Leben aus einer einzigen Lüge bestanden hatte. Sie beobachtete, wie die Flammen immer höher aufloderten und das Papier langsam eine schwarze Färbung annahm. Ein paar Funken fielen auf die Tischdecke. Frieda drückte sie mit ihrem Finger aus. Als nur noch ein kleines, schwarzes Häufchen übrig geblieben war, nahm sie den Unterteller und spülte die Asche in der Toilette hinunter.
    Sie zog ihren Mantel an und verließ die Wohnung. Die Sonne schien, aber es war kühl. Ein kräftiger Wind wehte. Sie schlug den Weg zum Pflegeheim ein.
    Im Flur kam ihr Dr. Roloff entgegen.
    »Guten Tag Frau Mommsen. Haben Sie einen Moment Zeit? Ich müsste etwas mit Ihnen besprechen.«
    Er führte sie in ein kleines Zimmer. Die Wände waren weiß gestrichen. Alles wirkte sauber und steril.
    »Ihrem Mann geht es gar nicht gut. Ich möchte Ihnen raten, noch einmal über die Spezialeinrichtung, die ich Ihnen schon einmal vorgeschlagen habe, nachzudenken. Wir sind hier einfach nicht eingerichtet auf solche schwierigen Fälle.«
    ›Ein schwieriger Fall ist er nun also‹, dachte sie, ›kein Patient mehr, nur noch ein Fall.‹
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es gibt spezielle Therapien, die Ihrem Mann vielleicht helfen könnten. Musiktherapie zum Beispiel. Das könnte helfen, seine Aggressionen abzubauen. Natürlich werden Sie in die Therapie mit eingebunden. Es ist wichtig herauszufinden, welches Ereignis diese Wutanfälle auslöst. Damit könnten Sie ihm helfen.«
    Für einen kurzen Augenblick dachte sie daran dem Arzt zu sagen, was Lorentz’ Krankheit ausgelöst hatte, was ihn so wütend und zugleich so hilflos machte, aber sie schwieg.
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    Sie öffnete die Tür zu Lorentz’ Zimmer. Er lag in seinem Bett, starrte wie so oft an die Decke. Leise trat sie an sein Bett, strich mit ihrer Hand über seinen Kopf. Keine Reaktion. Sein Blick war weiter starr an die Decke gerichtet. Er blinzelte nicht einmal. Sie beugte sich zu ihm.
    »Ich habe alles vernichtet. Nichts wird dich je mehr daran erinnern.«

     
    Tom saß am Frühstückstisch, als Haie in die Küche kam.
    »Schönen guten Morgen!«, rief er gut gelaunt.
    Haie stöhnte leise auf, fasste sich an den Kopf.
    »Hast du vielleicht eine Kopfschmerztablette?«
    »War wohl alles ein bisschen zu viel gestern, hm?«
    Haie nahm das Glas mit der Aspirintablette und trank es gierig aus.
    Zu viel, das traf den Nagel direkt auf den Kopf. Elkes Geständnis, die unzähligen Gläser Bier und Korn. Er setzte sich an den Tisch, ließ sich eine Tasse Kaffee eingießen. Er hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Sein Blick fiel auf das Fotoalbum, das auf der Eckbank lag.
    »Was ist das?«
    Tom nahm das Album in die Hand. Er schlug die Seite mit der Schwarz-Weiß-Fotografie auf, die Hannes mit dem Mann zeigte, den er zu kennen glaubte.
    »Weißt du wer das ist?«
    Er reichte Haie das Album über den Tisch.
    »Das ist Vladimir Crutschinow.«
    »Nein, das kann nicht sein. Herr Crutschinow ist doch viel jünger. Ich meine, eine gewisse Ähnlichkeit besteht schon, aber das Bild muss ja schon vor über dreißig Jahren aufgenommen worden sein.«
    »Das ist der alte Crutschinow. Ich bin mir ganz sicher. Ich kenne ihn. Er war so etwas wie ein Teilhaber der Papierfabrik. Nicht offiziell, aber irgendwie hatte er da auch seine Finger im Spiel. Jedenfalls habe ich ihn öfter dort gesehen.«
    Er reichte Tom das Album.
    »Außerdem hat er dafür gesorgt, die verschollenen Nolde-Bilder aus Russland hierher nach Seebüll zu bringen.«
    »Er interessiert sich für das Haus. Wusstest du davon?«
    »Er hat schon etliche Jahre mit dem Gedanken gespielt, sich hier niederzulassen.«
    Tom erzählte von dem großzügigen Angebot und der Flurkarte mit dem eingezeichneten Grundstück.
    »Das sollten wir uns mal genauer ansehen«, sagte Haie.
    Sie gingen durch den Garten, überquerten die kleine Straße.
    »Das hier muss es sein«, sagte Tom und zeigte auf das Stück Land, das vor ihnen

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