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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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Crutschinow erzählen sollte.
    »Sag mal, da war neulich ein Herr bei uns auf dem Hof und sollte Unterlagen für dich abholen.«
    Broder wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Sein Mund war trocken, er musste dreimal schlucken.
    »Ach so, ja, ich hatte ihn gebeten, sie für mich zu holen.«
    »Was sollten das denn für Unterlagen sein?«
    »Dringende Abrechnungen.«
    »Aber die hätte ich dir doch auch bringen können.«
    »Du warst gerade mit Meike Kaffee trinken, als es mir einfiel. Wie geht es ihr denn?«
    Er versuchte schnell das Thema zu wechseln.
    Frank wusste, dass er log. Niemals hätte sein Vater einen Fremden einfach so in seinen Unterlagen wühlen lassen. Selbst ihm war es verboten an den Sekretär zu gehen. Er wurde ärgerlich.
    »Warum sagst du mir nicht, was los ist? Was verheimlichst du mir?«
    Broder spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.
    »Das musst du gerade fragen. Du hast mir ja auch nicht erzählt, warum Meike ausgezogen ist!«
    Er war überrascht.
    »Weil das nur Meike und mich etwas angeht!«
    Seine Stimme wurde unweigerlich lauter. Er war wütend.
    »Und die Unterlagen gehen nur mich etwas an!«
    »Nicht wenn fremde Leute plötzlich in meinem Haus auftauchen!«
    »Dein Haus? Dein Haus? Ich höre wohl nicht recht, das ist immer noch mein Haus und mein Hof!«
    Broder japste nach Luft. Die Aufregung nahm ihm den Atem, er spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte und griff sich an die Brust. Frank bemerkte es nicht einmal. Aufgebracht schrie er:
    »Du bist doch an allem schuld! Wer hat Meike denn jahrelang wie seine Bedienstete behandelt? Ist doch kein Wunder, wenn sie abhaut!«
    Er setzte gerade an, um die nächsten Vorwürfe hinauszuschreien, als die Tür aufgerissen wurde und eine Schwester zum Bett rannte. Broder hatte, ohne das er es bemerkt hatte, den Notruf gedrückt.
    »Herr Petersen? Herr Petersen!«
    Die Schwester rüttelte leicht an seinem Arm. Erst jetzt fiel Frank die leicht bläuliche Verfärbung in dem Gesicht seines Vaters auf.
    »Vater?«
    Eine zweite Schwester betrat den Raum.
    »Schnell einen Arzt!«, rief Frank ihr zu.
    Sie drehte sich um und rannte aus dem Zimmer.

34
    Frieda hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Vor ihr auf dem Couchtisch standen eine Flasche Wein und Käsewürfel. Sie legte die Füße hoch und schaltete den Fernseher ein.
    Im ersten Programm lief der ›Tatort‹. Sie schaltete weiter, da sie keine Lust auf Mord und Totschlag hatte. Außerdem hatte sie den Anfang bereits verpasst.
    Sie zappte durch die Programme: eine Musiksendung, Rateshow, Tiersendung – nichts, was sie interessierte. Sie goss sich ein Glas Wein ein und aß einige Käsewürfel.
    Im dritten Programm lief ein Bericht über Erbkrankheiten. Sie lehnte sich zurück und verfolgte das Gespräch eines Professors der Uniklinik Hamburg mit einem bekannten Moderator. Der Professor erklärte zunächst die Mendelschen Gesetze. Er erläuterte den Erbgang anhand des bekannten Erbsenschemas. Interessiert versuchte sie den Ausführungen zu folgen:
    Kreuzte man zwei Individuen einer Art, die sich in einem Merkmal, für das sie reinrassig waren, unterschieden, so waren die Nachkommen in der ersten Tochtergeneration in Bezug auf dieses Merkmal untereinander gleich. Kreuzte man dann die Individuen der ersten Tochtergeneration unter sich, so war die zweite Tochtergeneration nicht gleichförmig. Es kam zu Individuen mit dem dominanten und zu solchen mit dem rezessiven Merkmal.
    Frieda fragte sich gerade, warum man die erste Generation als Tochter- und nicht als Sohngeneration bezeichnete, als der Professor auf eine bekannte Erbkrankheit zu sprechen kam: Die Sichelanämie.
    Ihr stockte für einen kurzen Augenblick der Atem. Sie richtete sich kerzengerade auf und starrte auf die Bilder der sichelförmigen Blutkörperchen, anhand derer der Professor die Mutation der Zellen erklärte.
    Schlagartig überfielen sie die Erinnerungen an jenen Tag vor etwa fünfunddreißig Jahren, als ihre Schwägerin sie zum Essen besucht und freimütig die Neuigkeiten aus der Praxis von Dr. Seidel ausgeplaudert hatte.
    »Und stell dir mal vor, Lorentz«, hatte sie gesagt, »die kleine Britta Johannsen leidet wie du auch an der Sichelkrankheit. Das haben die Ärzte erst jetzt herausgefunden, weil sie im Urlaub in den Bergen immer wieder umgekippt und blau angelaufen ist. So eine seltene Krankheit und wir haben gleich zwei Fälle in der Praxis.«
    Frieda hatte der Aussage ihrer Schwägerin keinerlei Beachtung

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