Deichgrab
keinen Sinn, sie weiter zu fragen und stand auf. Für sie war die ganze Sache abgeschlossen. Für ihn begann sie gerade erst.
»Haie?«
Sie schaute ihn unsicher an.
»Ist es denn so wichtig, wer er war?«
»Ja.«
Sie zögerte, ihm den Namen zu nennen. Es würde nichts ändern, wenn sie ihm verriet, wer der andere Mann in ihrem Leben gewesen war. Sie hatte ihn betrogen und belogen, da würde ein Name auch nichts daran ändern. Als sie jedoch seinen Blick auffing, wurde ihr klar, für ihn zählte einzig und allein die Wahrheit. Nur wenn sie jetzt ehrlich zu ihm war, hatten sie vielleicht noch eine kleine Chance.
»Sein Name war Klaus Nissen.«
42
Marlene war gegangen. Sie hatte versucht, ihn zu überreden, noch irgendwo essen zu gehen. Aber er hatte allein sein wollen.
Nun saß er am Küchentisch, starrte auf die Listen und Fotos. Er fragte sich, ob Marlenes Überlegungen vielleicht doch nicht so abwegig waren, wie sie ihm auf den ersten Blick erschienen. Eine Affäre war ja nicht so etwas Ungewöhnliches. Elke war das beste Beispiel dafür. Nicht nur was das Fremdgehen anging. Sie hatte es auch geschafft, die Beziehung zu einem anderen Mann jahrelang zu verschweigen.
Und er selbst? Er war auch nicht besser. Monika war in München und wartete sehnsüchtig auf seine Heimkehr, während er sich hier mit einer anderen Frau vergnügte.
Sein Handy klingelte und zog ihn aus seinen Grübeleien hervor. Er blickte auf das Display.
»Hallo Monika! Schön, deine Stimme zu hören!«
Er hasste sich für das, was er ihr jetzt antun wollte, antun musste. Schlussmachen am Telefon war nun wirklich nicht die feine Art. Aber er konnte nicht anders. Er liebte sie nicht mehr. Was hatte es für einen Sinn, ihr etwas vorzuspielen? Und er wollte frei sein. Frei für die Gefühle, die er empfand, frei für Marlene.
»Du wolltest mich sprechen?«
»Ja.«
Er hatte sich nicht wirklich überlegt, wie er es ihr am besten sagen sollte. Wäre es besser, wenn er sagte, er habe sich in eine andere Frau verliebt, oder lieber, er habe festgestellt, er liebe sie nicht mehr? Oder beides? Er war sich unsicher, sah ihr Gesicht vor sich, blass und schmal, die Augen eng zusammenstehend. Auf ihrer Stirn zeichnete sich immer eine Falte ab, weil sie sich zu viele Sorgen machte. Sorgen darüber, was er tat, ob er vielleicht fremde Frauen traf, ob er sie noch liebte.
»Toooom?«
Er schrak auf. Was sollte er sagen?
»Ja, weißt du …«
Fieberhaft suchte er nach den richtigen Worten.
»Was weiß ich?«
»Ja, also ...«
»Tom bitte mach schnell. Ich bin gleich noch mit Irene verabredet. Was ist denn nun?«
›Sie hat keine Zeit. Sie hat es eilig. Kein guter Zeitpunkt, um sich von ihr zu trennen‹, signalisierte ihm sein Gehirn.
Schnell suchte er nach einem anderen Grund, warum er sie hatte so dringend sprechen wollen.
»Ja, gut. Also, ich komme bald nach Hause. Das wollte ich dir auch nur schnell sagen.«
Wie ein Hammer traf ihn selbst die Wucht seiner Lüge. Doch anstatt zu taumeln, setzte er noch einen drauf:
»Ich freue mich.«
Ich habe Angst. Eine höllische Angst. Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr denken. Bei jedem Klingeln des Telefons schrecke ich auf, denke:
›Jetzt ist es soweit. Jetzt haben sie dich!‹
Ich bin mir ziemlich sicher, früher oder später werden sie alles herausfinden. Alles. Mein Bauchgefühl sagt es mir.
Und es sagt auch: Man sieht es mir an. Man kann es mir von den Augen ablesen. Jeder kann sehen, dass ich ihn umgebracht habe. Deshalb traue ich mich kaum noch aus dem Haus, fühle mich ständig beobachtet.
Das Schlimmste jedoch ist: Er war gar nicht schuld. Es hat nicht nur an ihm gelegen. Das habe ich mir nur eingeredet und das macht das Ganze noch schlimmer.
Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.
43
Als Frank aus dem Aufzug stieg, sah er Klaus Nissen an der Tür zur Intensivstation mit einer Schwester diskutieren.
»Ich muss dringend zu Broder Petersen! Es ist äußerst wichtig!«, flehte er die Schwester an.
Die schüttelte allerdings nur energisch den Kopf und sagte immer wieder:
»Herr Petersen braucht absolute Ruhe!«
Er trat hinter Klaus.
»Moin, Moin! Schön, dass du Vater besuchen willst. Aber es geht ihm immer noch furchtbar schlecht. Nicht einmal ich darf zu ihm.«
Klaus drehte sich um. Er sah blass aus. Dicke, schwarze Ringe lagen unter seinen Augen. Er zwinkerte nervös.
»Frank«, sagte er, »ich muss aber dringend mit ihm
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