Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
allerwenigsten, schon gar nicht nach so kurzer Zeit. Er war verletzt, die Sache hatte ihn mitgenommen, das wusste sie, umso verwunderter war sie, ihn vor der Hautür stehen zu sehen.
    Er räusperte sich.
    »Kann ich reinkommen?«
    Sie nickte und trat einen Schritt zur Seite. Er ging zielstrebig in die Küche, setzte sich auf die Eckbank. Sie blieb an der Tür stehen, unsicher, was nun geschehen würde. Vielleicht war er gekommen, um sie für immer zu verlassen, ihr zu sagen, er könne mit ihr nicht mehr zusammenleben, nicht mit einer Frau, die ihr Kind, auch wenn es nicht von ihm gewesen war, getötet hatte? Sie blickte ihn unsicher an.
    Aber er sagte nichts darüber, was aus ihnen werden sollte, wie es weitergehen könnte, sondern fragte ohne Umschweife:
    »Wer war der Mann?«
    Sie war darauf nicht vorbereitet. Überrascht blickte sie ihn an. Vorwürfe hatte sie erwartet, Beschimpfungen, ja. Aber mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Für gewöhnlich interessierten ihn die Einzelheiten nicht. Seit wann fragte er nach den Details? Sie schluckte zweimal kräftig.
    »Wieso willst du das wissen?«
    »Weil es wichtig ist.«
    »Willst du vielleicht auch den Grund erfahren?«
    Er nickte.
    »Wieso?«
    Ihre Stimme wurde schriller und lauter.
    »Nach all den Jahren, in denen du dich nie für irgendwelche Gründe interessiert hast, kommst du und willst wissen, warum ich dich betrogen habe? Wieso?«
    Er spürte, wie das Gespräch in einen Streit auszuarten begann, und obwohl er derjenige war, der hier die Fragen stellen wollte, lenkte er ein.
    »Ich möchte es verstehen.«
    Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und begann zu schluchzen. Er stand von der Eckbank auf, fasste ihren Arm und führte sie zu einem der Küchenstühle. Sie nahm die Hände vom Gesicht. Mit Tränen in den Augen blickte sie ihn an.
    »Was gibt es da schon zu verstehen?«
    Er wusste nicht, ob er sie je wieder so bedingungslos würde lieben können. Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Aber er wollte die Wahrheit von ihr hören. Wenn es überhaupt eine Chance auf ein weiteres, gemeinsames Leben gab, dann nur, wenn sie ihm alles erzählte. Er sah ihr in die Augen.
    »Bitte, es ist wichtig.«
    Sie erkannte an seinem Blick, wie ernst es ihm war. Sie öffnete ihren Mund und schon sprudelten die Worte nur so heraus. All die Tage, an denen sie allein gewesen war, an denen sie sich einsam gefühlt hatte. Er hatte ja nur immer seine Arbeit im Kopf gehabt, gar nicht bemerkt, wie unglücklich sie gewesen war. Da war es halt passiert. Eine Affäre, ein Flirt, ein Abenteuer. Und der Schreck. Sie bekam ein Kind. Nach ihrer Rechnung hatte es nur von dem anderen sein können. Nächtelang hatte sie wach gelegen, heimlich geweint und letztendlich den Entschluss gefasst, abzutreiben. Die Lügen, die Heimlichkeit, die Ausflüchte. Ihr schlechtes Gewissen war von Tag zu Tag gewachsen, hatte sie nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.
    »Aber du hast von allem gar nichts bemerkt.«
    Ihre Worte waren nicht anklagend, nur feststellend.
    Er hatte ihr die ganze Zeit schweigend zugehört. Nun fragte er sich, wie er so blind hatte sein können? Wieso war ihm nie auch nur die kleinste Kleinigkeit aufgefallen? Hatten sie tatsächlich so nebeneinanderher gelebt? Kannte er die Frau, die jahrelang neben ihm aufgewacht war, überhaupt? Er blickte sie fragend an.
    »Nach einer Weile ging es mir besser«, fuhr sie fort, da sie seinen Blick als Aufforderung verstand, weiter zu erzählen.
    »Ich habe versucht, wieder ein möglichst normales Leben zu führen. Die Beziehung zu dem anderen hatte ich sofort nach der Abtreibung abgebrochen. Ich war mir eigentlich sicher, dass niemand etwas darüber erfahren hatte, aber als eines Tages dieser Mann vor mir stand und mir drohte, dir alles zu erzählen, wenn ich nicht gegen Hannes aussagen würde, war mir klar, irgendjemand hatte mein Geheimnis entdeckt. Ich geriet in Panik. Du solltest auf gar keinen Fall davon erfahren. Deshalb habe ich gemacht, was der Mann von mir verlangt hat. Den Rest kennst du ja.«
    Er schwieg. Sie sollte ihm den Namen nennen. Den Namen des Mannes, von dem sie ein Kind erwartet hatte. Stattdessen fragte sie ihn jedoch:
    »Wie soll es jetzt weitergehen?«
    Er blickte sie an und zuckte mit den Schultern.
    »Warum willst du mir seinen Namen nicht sagen?«
    »Weil er keine Rolle spielt. Es ist nicht wichtig, wer er war. Du weißt nun, wie es dazu kam. Du kennst das Warum. Sein Name ist unwichtig.«
    Er wusste, es hatte

Weitere Kostenlose Bücher