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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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auf, trank noch einen Schluck Kräutertee, ließ Bogie in Frieden in seinem Paperback-Grab für Filmliebhaber ruhen und verließ die Wohnung.
    Unten in der Gasse gingen die Abendlichter an. Hinter blau karierten Gardinen saß eine Familie mit zwei Kindern beim Abendessen. Eine blonde Mutter mit hochroten Wangen stellte dampfende Schüsseln auf den Tisch, an dem ein Mann mit Pony und farblosem Bart mit zerfurchter Stirn bedrückt seine Kinder anstarrte, als seien sie seine Spiegelbilder in einem zersprungenen Spiegel. Durch ein offenes Fenster im ersten Stock eines anderen Hauses ertönte die heisere Stimme eines Mannes, der sang, er habe sein ganzes Leben an der Landstraße verbracht, doch das einzige, was er mit dem Sänger Edvard Persson gemeinsam hatte, waren die kehligen r-Laute. Ein ganz normaler Abend in der Gasse, und Veum machte sich auf den Weg. Der willige Veum nennen sie ihn. Kommt prompt, wenn Sie ihn anrufen, nur nicht in der Bürozeit, nein, in der Bürozeit wirklich nicht.
    Mein Mini geriet ins Hüsteln vor Überraschung darüber, mitten in seinem Nachmittagsschlaf gestört zu werden, und ging mir auf dem Weg durchs Zentrum zweimal aus. Ich sagte laut zu ihm, dass ich ihn beim nächsten Mal stehen lassen und mir einen Volkswagen kaufen würde. Von da an brummte er wie eine satte Hummel, bis wir draußen vor dem Wohnblock angekommen waren.
    Ich parkte und ging ins Haus. Der Fahrstuhl wartete. Er war leer und blieb auch nicht stecken. Ich trat an Wenche Andresens Tür und klingelte.
    Sie öffnete. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Augen geschwollen. Sie zog mich in den Flur und schloss die Tür. Dann fiel sie an meine Brust, und ich hörte lang gezogene und gedämpfte Schluchzer an meinem Hemd. Ihr ganzer Körper bebte, und ich wusste nicht richtig, wo ich meine Hände lassen sollte. Es war lange her, dass jemand an meiner Brust geweint hatte. Im Grunde viel zu lange. Ich legte die Hände hübsch auf ihre Schulterblätter, die Fingerspitzen auf ihr Rückgrat. Vorsichtig bewegte ich die Handflächen, sagte nichts. Besser, man lässt sie sich erst einmal ausweinen.
    Langsam beruhigte sie sich. Sie hörte auf zu weinen und wurde auf einmal steif in meinen Armen. Als sie Anstalten machte, sich frei zu machen, löste ich meinen Griff um ihren Rücken. Sie starrte die Knöpfe meines Hemdes an, und ich reichte ihr ein Taschentuch. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und putzte sich die Nase, dann bewegte sie ihren Blick an meinen Knöpfen aufwärts bis zu meinem Gesicht. »Entschuldige bitte. Ich wollte nicht …«, flüsterte sie.
    Ihr Mund war vom Weinen geschwollen, wie nach einem Wespenstich, oder wie nach einer langen und schönen Liebesnacht. Ich sagte – und meine Stimme kratzte wie eine alte 78er Platte (wenn es meine Stimme war): »Hast du … den Zettel?«
    Sie nickte und holte einen zerknüllten Zettel von der Kommode und reichte ihn mir. Ich vermied es, ihre Hand zu berühren, und las.
    Da stand mit runder, kindlicher Schrift: Wir haben Roar. Du weißt, wo du ihn finden kannst. Wenn du die Bullen rufst, bringen wir ihn um. Keine Unterschrift.
    »Wann warst du zu Hause?«, fragte ich.
    »Um halb fünf.«
    »Aber du hast erst um halb sechs bei mir angerufen. Wann hast du den Zettel bekommen?«
    »Als ich nach Hause kam, war Roar nicht hier. Ich bin rausgegangen, um ihn zu suchen und habe ein paar seiner Spielkameraden gefragt. Aber sie hatten ihn nicht gesehen. Ich suchte noch eine Weile, und gegen fünf kam ich zurück, und da lag dieser Zettel im Briefkasten. Ich war völlig außer mir vor Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wen ich um Hilfe bitten konnte. Ich weiß nicht mehr, ich ging in die Wohnung, versteckte mich, weinte. Da fielst du mir ein. Wir – wir hatten uns neulich so nett unterhalten. Ich dachte, dass du vielleicht … Aber ich meinte nicht so, nur, ich will …« Sie starrte mir in die Augen. »Ich bezahle das Honorar, das Sie auch sonst kriegen.«
    »Darüber können wir später reden. Zuerst müssen wir Roar finden. Das ist das Wichtigste. Und du willst immer noch nicht, dass ich die Polizei verständige?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Gut. Dann bleibst du hier, für den Fall, dass er auftaucht. Und ich sehe nach, ob ich ihn finden kann.«
    »Wohin … wohin gehst du?«
    »Ich werde wohl da oben bei ihrer Hütte anfangen.«
    Ihre Augen weiteten sich. Sie wurden groß und blau, so groß und blau, dass es fast wehtat, sie anzusehen. Sie sagte: »Aber das kann

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